piwik no script img

Glänzende Perspektiven

■  Viele Maschinenbauer jammern, entlassen Mitarbeiter. Bei der Friedrich Flender AG in Bocholt brummt das Geschäft. Mit Windkraftgetrieben ist das Unternehmen auf Erfolgskurs: „Wir wollen Weltmarktführer bleiben“

Es riecht nach Bohrmilch. Grauer Qualm steigt hoch. Willi Tekampe blickt gespannt auf seinen Monitor. Ein grünes Lämpchen leuchtet auf, ein kurzer Summton ist zu hören. „Passt, sitzt perfekt“, meint der 49jährige Schlosser. Es geht um Tausendstel Millimeter. Der Metaller im Blaumann weiß, dass Präzisionsarbeit von ihm verlangt wird. Kaum sichtbar dreht sich die Stahlplatte weiter. Ein mechanischer Kontaktfühler, etwa so groß wie eine Zigarettenschachtel, nimmt Maß. Die Prozedur dauert keine Minute, dann kommt von oben ein Diamantschleifer, der sich langsam in den glänzenden Stahlring frisst. Gegenwehr ist zwecklos, die stählerne Narbe wird immer tiefer. Wie oft sich dieser Vorgang heute noch wiederholen wird, weiß der „Flenderaner“ Tekampe so genau auch nicht. Bis zum Ende seiner Schicht wird der Metallkranz auf jeden Fall fertig sein. „Die Zahnräder sind die Herzstücke unserer Getriebe“, schmunzelt der Familienvater, der schon seit 35 Jahren bei der Flender AG in Bocholt beschäftigt ist.

Die Belegschaft hat alle Hände voll zu tun. Es wird gebohrt, gefräßt, geschliffen, vermessen und getestet. Für Müßiggang bleibt keine Zeit. Und zwischendurch tauchen Holzkisten mit bekannten Namen der Windkraftbranche auf – die Kunden des westmünsterländischen Unternehmens: Nordex, Tacke, Vestas, Frisia, NEG-Micon, Husumer Schiffswerft, DeWind, Jacobs Energie und viele andere.

Flender ist so etwas wie der Haus- und Hoflieferant für die meisten Windturbinenbauer in Deutschland, aber auch für die Exportweltmeister in Dänemark. Das Geschäft boomt. „Wir arbeiten hart an der Grenze unserer Kapazitäten“, meint Betriebsratsvorsitzender Hermann Gehrke. Derzeit würden 20 bis 30 Getriebe pro Woche das Werk verlassen. Um das Arbeitspensum bewältigen zu können, wurde das Personal aufgestockt: 150 Arbeitsplätze sind in der Fabrik neu besetzt worden. Schlosser, Dreher, Feinmechaniker, Lackierer und Ingenieure haben durch den anhaltenden Aufschwung in der Windkraft-Sektion einen Job gefunden. „Wir schaffen Dauerarbeitsplätze“, so Gehrke. Nach Einschätzung der Firmenleitung wird sich der Markt weltweit rasant entwickeln. In den kommenden fünf Jahren rechnet das Management mit einer Verdoppelung des Umsatzes. In der strukturschwachen deutsch-holländischen Grenzregion gehört Flender zu den Hoffnungsträgern und zu den wenigen Betrieben, die nicht entlassen, sondern expandieren.

Von den knapp 2.500 Mitarbeitern am Standort Bocholt arbeiten bereits gut 500 ausschließlich in der Windenergie-Getriebeproduktion. Die Masse der Gussteile stammt von der Flender Guss GmbH aus dem sächsischen Wittgensdorf. Dort sind noch einmal etwa 600 Leute beschäftigt. Einige hundert Arbeitsplätze sind außerdem noch bei Zulieferern gesichert. Und die Perspektive ist glänzend. In der Nähe des alten Stammwerks sollen in ehemaligen Babcock-Hallen weitere Getriebe für Windenergieanlagen produziert werden. Mit der neuen Montagemöglichkeit werden wieder Jobs zu vergeben sein. Etwa 300 Arbeitsplätze will das Flender-Management dort schaffen. Alle Vorzeichen sind gut: Flender ist nach eher schwachen Geschäftsjahren heute wieder in der Gewinnzone gelandet.

Zuvor wurde die gesamte Produktion umgekrempelt. In kleinen Teams steuern die Mitarbeiter die Fertigung. Planung, Entwicklung, Prozesssteuerung, Teilebeschaffung und Montagearbeiten – selbst die Einteilung der Arbeitszeit läuft flexibel und eigenständig, wobei die Gruppenarbeit zu einer wesentlichen Erhöhung der Produktivität geführt hat. Unterm Strich konnte eine Steigerung von nahezu 20 Prozent erzielt werden, wodurch die Getriebe günstiger angeboten werden können. Getreu dem neu kreierten Slogan „We move the world“ wollen Gehrke und die Flenderaner in Bocholt künftig noch etwas mehr bewegen – damit Windkraft im Aufwind bleibt.

Michael Franken

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen