: Stoiber opfert und schweigt
Nach massiven Vorwürfen des von ihm gefeuerten bayerischen Justizministers Sauter geht Ministerpräsident Stoiber auf Tauchstation ■ Von Janis Vougioukas und Lukas Wallraff
München/Berlin (taz) – Während die anderen Unionspolitiker über die Wahlsiege der CDU jubeln, gerät Bayerns Ministerpräsident Stoiber (CSU) immer stärker in Bedrängnis. Gestern Vormittag überreichte er Justizminister Alfred Sauter (ebenfalls CSU) die Entlassungsurkunde. Während Sauter direkt nach dem fünfminütigen Treffen schwere Vorwürfe gegen Stoiber äußerte, ging der Ministerpräsident auf Tauchstation. Eine angekündigte Pressekonferenz sagte Stoiber kurzfristig ab.
Aus der bayerischen Staatskanzlei hieß es zur Begründung, Stoiber müsse sich auf die Kabinettssitzung am Dienstag vorbereiten. Zu einer weiteren Stellungnahme war die Pressestelle des Ministerpräsidenten bis Redaktionsschluss nicht bereit. In der Ministerrunde wird es um die Millionenverluste der halbstaatlichen Immobiliengesellschaft LWS gehen, die der Auslöser der aktuellen Krise waren. Stoiber macht den langjährigen Aufsichtsratsvorsitzender Sauter für die Versäumnisse bei der Überwachung der LWS-Geschäfte verantwortlich.
Nachdem sich Sauter wiederholt gegen die Vorwürfe gewehrt und einen Rücktritt abgelehnt hatte, teilte ihm Stoiber am vergangenen Samstag telefonisch mit, dass er gefeuert sei. Sauter weigerte sich zunächst, seinen Hut zu nehmen, und warf seinem ehemaligen Intimfreund Stoiber „Verfassungsbruch“ vor. Der Entlassung eines Ministers müsse laut bayerischer Verfassung der Landtag zustimmen. Bis zu dem Votum des Parlaments werde er im Amt bleiben.
Gestern nahm Sauter zwar seine Entlassungsurkunde entgegen, kündigte aber an, auch gegen den ausdrücklichen Wunsch Stoibers weiter an den Kabinettssitzungen teilzunehmen. Erst recht am Dienstag, wenn es um die LWS geht: „Der einzige, der da etwas sagen kann, bin doch ich.“
Ob Sauter dann so offene Worte finden wird wie gestern vor Journalisten? Ungeschminkt machte er Stoiber für die Pleite der LWS verantwortlich: „Wenn man sich 1991 dafür entschieden hätte, nicht ins Bauträgergeschäft zu gehen, dann wäre die Misere, die wir jetzt haben, nicht denkbar gewesen.“ Eine klare Anspielung auf die Rolle, die Stoiber damals spielte: Als Innenminister drängte er, gegen den Rat des Finanzministers, darauf, die Tätigkeiten der LWS über Bayerns Grenzen hinaus auszuweiten. Die Geschäfte erwiesen sich als Flop, die Verluste der LWS summierten sich auf 367 Millionen Mark.
Während Stoiber gestern nichts sagen wollte, war Sauter sehr gesprächig: „Ich bedauere, dass der Versuch unternommen wurde, die Angelegenheit mit einem Menschenopfer zu erledigen“, sagte er vor Journalisten. „Das ist eine ungewöhnliche Verhaltens- und Vorgehensweise im ausgehenden 20. Jahrhundert.“
Der Mann, der am Samstag noch bayerischer Justizminister war, fühlt sich von den eigenen Parteifreunden verraten und verlassen. Seine Entlassung sei ungerecht. Es sei ihm unverständlich, warum ihm Stoiber das Justizministerium entzogen habe. In seiner Funktion als Justizminister könnten ihm doch keine Vorwürfe gemacht werden. Trotzdem wirkte Sauter auf einer improvisierten Pressekonferenz in der Traditionsgaststätte „Zum Franziskaner“ erstaunlich locker und gelöst. Während er genüsslich eine Brezel verspeiste, wetzte die Opposition im Landtag bereits die Messer zum Angriff auf Edmund Stoiber.
Die SPD sieht in ihm „den Hauptverantwortlichen für das Finanzdebakel“ der LWS. Die verfassungsrechtlich fragwürdige Entlassung Sauters ändere daran nichts, sagte SPD-Generalsekretär Wolfgang Hoderlein gestern in München. Zugleich hegte er den Verdacht, die ehemaligen Intimfreunde Stoiber und Sauter hätten eine geheime Abmachung getroffen, die Abstimmung im Landtag über Sauters Entlassung hinauszuzögern. Am 6. Oktober wäre Sauter genau ein Jahr im Amt und bekäme dann höhere Ruhestandsbezüge. Die SPD verlangte deshalb eine Sondersitzung Ende September, die bayerischen Grünen fordern einen Untersuchungsausschuss.
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