: „Freiwillig in die Opposition“
■ Um die SPD aus den Klauen der CDU zu befreien, ruft Bernd Köppl (Grüne) zur Gründung einer „sozialdemokratischen Befreiungsbewegung“ auf. Seine Perspektive: Drei-Parteien-Opposition
taz: In Brandenburg hat die SPD mit den Sondierungsverhandlungen begonnen. Was würde es für Berlin bedeuten, wenn es dort zu einer Großen Koalition käme?
Bernd Köppl: Das wäre der größte anzunehmende Unfall, weil damit die Hoffnung auf eine Änderung der Berliner Politik langfristig zunichte gemacht würde. Wenn es in Brandenburg eine Große Koalition gibt, wird es auch in Berlin eine Große Koalition geben, völlig unabhängig vom Wahlausgang. Das würde die Verhältnisse hier zementieren.
Der brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) wird von den Berliner Genossen mächtig unter Druck gesetzt, auf keinen Fall mit der PDS zu paktieren. Glauben Sie, dass er sich das so kurz vor den Berliner Landtagswahlen dennoch trauen könnte?
Ich nehme an, dass die Verhandlungen in Brandenburg mit der PDS und auch mit der CDU so lange hinausgezögert werden, bis die Berliner Wahlen stattgefunden haben. Danach hat Stolpe eine wesentlich größere Entscheidungsfreiheit.
Wie lautet Ihre persönliche Prognose? Hat Rot-Rot in Brandenburg Chancen?
Ich hoffe, dass Stolpe unabhängig von dem auch bundespolitischen Druck, dem er ausgesetzt ist, seine Landesinteressen im Auge hat. Ich hoffe, dass er ernsthaft prüft, ob eine Koalition mit der PDS möglich ist.
Was wäre das Beste für die Berliner SPD?
Beide Varianten wären für die Sozialdemokraten eine Katastrophe. Wenn Stolpe in eine Große Koalition geht, ist die Berliner SPD fest eingemauert. Geht er eine PDS-Koalition ein, wird Momper noch größere Glaubwürdigkeitsprobleme haben. In dieser Lage kann man der Berliner SPD nur empfehlen, freiwillig in die Oppposition zu gehen, egal wie das Wahlergebnis aussieht, um überhaupt wieder eine Chance zu gewinnen, eigenständige sozialdemokratische Politik glaubwürdig zu vertreten.
Das fordern auch schon einige Genossen, wie die SPD-Abgeordneten Hans-Georg Lorenz und Christian Gaebler.
Gerade bei den jungen SPD-Abgeordneten gibt es zunehmende Stimmen für eine Opposition. Sie sehen, dass ihre Partei durch die Große Koalition chronisch ausgezehrt wird. Die Grünen sollten zusammen mit engagierten Wählern eine „sozialdemokratische Befreiungsbewegung“ gründen, um die SPD aus den Klauen der CDU zu befreien. Denn aus eigener Kraft scheinen es die Sozis in Berlin nicht zu schaffen.
Dann muss der grüne Wahlslogan aber schleunigst geändert werden.
Wir haben unseren Wahlkampf notgedrungen schon auf Oppositionsperspektiven umgestellt.
Die jüngsten Umfrageergebnisse zeigen, dass ein Regierungswechsel nur durch eine Tolerierung durch die PDS möglich wäre. Damit haben aber nicht nur die Sozialdemokraten Probleme, sondern auch viele Ihrer grünen Parteifreunde.
Innerparteiliche Diskussionen und Wählerumfragen haben gezeigt, dass die Grünen mit dieser Perspektive keine unüberwindlichen Schwierigkeiten haben. Das Hauptproblem sind die SPD und deren Wähler. Hier ist ein Bündnis mit der PDS nahezu unmöglich und würde die SPD zerreißen. Aber das Problem muss die SPD anpacken. Wenn wir mit drei Oppositionsparteien im Berliner Parlament sitzen würden, würde sich schnell herausstellen, ob es einen ausreichenden gemeinsamen Fundus gibt, bei der nächsten Wahl eine gemeinsame Regierungsperspektive aufzubauen. Interview: Plutonia Plarre
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen