: Die Diva vom Lande
Wandersfreund und Zuchtmeister: CDU-Ministerpräsident und Westimport Bernhard Vogel hat Thüringen fest im Griff ■ Aus Erfurt Jens Rübsam
Früher Abend ist es am Donnerstag, als sich in einem Bierzelt auf dem Erfurter Domplatz eine Szene von Seltenheitswert besichtigen lässt: Ein Thüringer hilft einem Bayern beherzt durchs Gröbste. Gern reicht Bernhard Vogel, 66, seinem westdeutschen Kollegen Stoiber, 57, die rettende Hand, wenn dieser ungeschickt über Tisch und Bank stolpert. Ein Dutzend Kameras schwenkt das neue Thüringer Selbstbewusstsein ab, getreu dem Wahlkampfmotto: „Wir wollen das Bayern unter den jungen Ländern werden“. Im Festzelt toben derweil die Massen: „Willkommen im Klub der reichen Südländer.“
Lautstark zieht seit Wochen eine illustre Bürgerinitiative durch den Freistaat. Auf Wanderungen, bei Kinderfesten, in der Postille Illu mit Herz wird der Wunschkandidat für das Amt des Ministerpräsidenten dem Wahlvolk offeriert – hofiert wird ausschließlich „Dr. Vogel“ und nicht die Thüringer CDU. „Es gibt viele Wähler“, sagt Initiator Gunter Brüß, 57, dienstältester West-Banker in Thüringen, „die nicht CDU wählen würden, aber Dr. Vogel als Landesvater haben wollen.“ Umfragen zufolge sind dies 73 Prozent der Thüringer.
Der Feldzug für Vogel der BI „Thüringen für Dr. Vogel e.V.“ hat einen guten Grund: Es gibt im „grünen Herzen Deutschlands“ keinen Heimat-Schwarzen, dem das Zeug zum Ministerpräsidenten zugetraut wird. Der Bayer Brüß behauptet gar: „Dr. Vogel ist derzeit nicht ersetzbar. Ohne ihn würde die Thüringer CDU die Wahl sogar verlieren.“ Mit Dr. Vogel aber, so die Prognose, werden die Christdemokraten im neuen Erfurter Landtag nicht einmal mehr die Roten von der SPD brauchen.
Natürlich kommt er nun schon ein wenig großväterlich daher, aber sein weit ausholender Pfadfinderschritt ist noch immer derselbe. Auf Unternehmertagungen kann man ihn, wenn es gilt, Beifall zu zollen, beim Patschen beobachten, so lustig, als habe da vorn gerade ein Zirkusclown ein Späßchen gemacht. Er raucht Zigarillos und trinkt herben Weißwein. Er amüsiert sich in Skatrunden, wochenends in Saunen, zu Sommerszeiten in den Bergen, zu Winterszeiten unter der fernen Sonne.
Und auch in Wahlkampfzeiten zieht Bernhard Vogel in alt vertrauter Hemdsärmeligkeit durchs Land. In Jena mustert er den „Champ“, Thüringens ersten Satelliten. In Bad Salzungen faltet er bei der Grundsteinlegung eines Krankenhauses andächtig die Hände. Ehrfurchtsvoll sagt ein Vertrauter Vogels: „Der arbeitet wirklich 14 Stunden am Tag – nicht für sich, sondern für Thüringen.“
Nicht selten sieht man noch weit nach Mitternacht Licht brennen im Eckzimmer 113 der Staatskanzlei, Adresse: Regierungsstraße. Es wird gemunkelt: Kein Dorf, keine Brücke, keine Bahnschranke soll es im Land geben, die Vogel nicht kennt. Einmal im Jahr legt er einen Lodenmantel um, streift sich Knickerbocker über und stapft in wasserfesten Wanderschuhen gute 50 Kilometer durch den Wald, „Landesbegehung“ nennt er das.
Landesvater? Die CDUler am Stand auf dem Erfurter Bahnhofsvorplatz wissen nicht so recht. „Landesvater? Würde das zutreffen?“, fragt der eine den anderen. Schließlich entscheidet sich der eine: „Wenn er verheiratet wäre, würde das wohl rüberkommen. Aber so?“ Unsicher fragt der andere: „Bleibt er denn in Thüringen?“
„Wo möchten Sie leben?“, wollte die FAZ einmal von Bernhard Vogel wissen. „Hier, in Rheinland-Pfalz“, gab er, damals noch Ministerpräsident in Mainz, zur Antwort. Dürfte er den Fragebogen ein zweites Mal ausfüllen, würde er heute eintragen lassen: „Zur Zeit in Thüringen – so lange ich diese Aufgabe habe.“ Wer sich einmal mit den Worten „Gott schütze Rheinland-Pfalz“ verabschiedet hat, der geht nur auf Zeit. Im pfälzischen Speyer besitzt Bernhard Vogel ein Haus.
Vorerst heißt es für den braven Parteisoldaten Vogel noch Thüringen rauf und Thüringen runter – allerorten ist dieser Tage das Wort „Phänomen“ zu hören, „Phänomen Vogel“. Landtagsabgeordnete schwärmen von seiner „feinen Sensorik“, von seinem Gespür, „Stimmungen im Lande aufzugreifen“, und von seiner Fähigkeit, den „Thüringern zu vermitteln: Ihr seid wer“. Wo Landräte und Oberbürgermeister aus dem Westen gescheitert sind, da hat der Westler Vogel an Schweinswürsten gezurrt und Schwarzbier aus heimischen Brauereien gestemmt. „Viele, die aus dem Westen kamen“, sagt der Eisenacher Abgeordnete Christian Köckert, „kamen drüben nicht mehr weiter und wollten nun hier hoch kommen. Bernhard Vogel dagegen war schon jemand. Der musste niemandem mehr etwas beweisen.“ Wohl aber sich selbst.
Man hatte ihn demontiert, damals im Herbst 1988. „Aufs Abstellgleis geschoben“ und „in die Wüste geschickt“ musste er über sich in den Zeitungen lesen, nachdem ihn die rheinland-pfälzische CDU aus dem Amt des Parteichefs gejagt hatte. Wenig später trat er freiwillig als Ministerpräsident zurück, nach zwölf Jahren Amtszeit. Die, die ihn gut kennen, sagen noch heute: „Das hat er nie verwunden.“ Als Seelentröster erwies sich Duzfreund Helmut Kohl, der, wie die Süddeutsche Zeitung einmal zu berichten wusste, bei Trinkgelagen zu vorgerückter Stunde den Bernhard gern auf dem Tisch tanzen ließ: „Mach de Aff.“
Kohl verpasste Vogel 1992 eine Altersversorgung im Grünen, schickte ihn da hin, wo auf jedem dritten Quadratmeter ein Baum steht, die Bratwürste am besten schmecken, die Not am größten war (CDU Thüringen: „Chaotentruppe“) und schon einmal, im Mittelalter, Mainzer regierten – nach Thüringen. Auf einen Flecken, dessen Bürger schon zu DDR-Zeiten mächtig stolz darauf waren, Thüringer zu sein – auch wenn sie sich Einwohner der Bezirke Erfurt, Gera, Suhl nennen lassen mussten und wie Kaninchen im Käfig von Grenzanlagen auf 740 Kilometern umzingelt waren. Vogel wusste, was zu tun war: Identität stiften, die Mitte Deutschlands preisen, so ungeniert die Ost-Karte spielen, wie es ein Hiesiger wohl niemals gewagt hätte – und Autobahnen bauen, beispielsweise.
In Eisenach stehen die CDUler vor dem Thüringer Hof, langweilen sich unter Sonnenschirmen bei Dixiesound der Kombo Good News und warten auf Dr. Vogel. „Die SPD“, sagen sie fröhlich, „ist unser bester Wahlhelfer.“ Die hat im ganzen Land plakatieren lassen: Kanzler Schröder, mit Bratwurst und Serviette. Das hat sogar einen wie Bernhard Vogel in beste Laune versetzt. Als ob sich auch nur ein Thüringer Zellulose unter die Wurst schiebt!
Er ist, und er weiß es, der König von Thüringen, wie Biedenkopf der König von Sachsen ist. Er ist der generöse Vater. Manchmal kommt es vor, dass ihn Bürger mit „Herr Präsident“ ansprechen – so falsch liegen sie freilich damit nicht. „Vogel hat etwas Präsidiales“, sagt ein Beobachter der Thüringer Politszene, „er ist nur für die guten Nachrichten zuständig.“ Parteifreunde kennen hinter vorgehaltener Hand aber auch einen anderen „Bernd“. Ein „Zuchtmeister“ könne er sein, einer, der „abstraft“, wenn ihm jemand „in die Quere“ komme. Von einem „demagogischen Zungenschlag“ wird berichtet, von einer „selbstherrlichen Art“ und von seiner Vorliebe, sich mit „Verbeugungswilligen“ zu umgeben. Vielleicht passt ja zu Bernhard Vogel ganz einfach: „Diva vom Lande“.
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