: Trauerfeier im Land der Täter
Bei der zentralen Gedenkfeier für den verstorbenen Ignatz Bubis erschien fast die gesamte deutsche Staatsspitze – einschließlich des Kanzlers, der bei der Beisetzung in Israel gefehlt hatte ■ Aus Frankfurt Klaus-Peter Klingelschmitt
„Das hätte er nicht gewollt, dass wir bei der Feier zu seinem Gedenken so leiden müssen.“ Die ältere Dame im schwarzen Kostüm auf der Empore der Westendsynagoge in Frankfurt fächelt sich Luft zu; fast unerträgliche Temperaturen herrschen in dem bis auf den letzten Platz mit Trauergästen besetzten jüdischen Gotteshaus. Zu Ignatz Bubis' seligem Angedenken sind sie gekommen: der Bundespräsident und der Bundestagspräsident, fast die komplette Bundesregierung, die Verfassungsgerichtspräsidentin, die Ministerpräsidenten – und diesmal auch der Bundeskanzler.
Die Beisetzungsfeierlichkeiten in Israel vor drei Wochen fanden noch ohne Gerhard Schröder statt, der seinen Urlaub im italienischen Positano nicht unterbrechen wollte; sehr zum Unmut nicht nur des Zentralrates der Juden in Deutschland und der Opposition.
Die gestern in der Synagoge zu Redebeiträgen zum „Menschen Ignatz Bubis“, so Michel Friedman für die Jüdische Gemeinde in Frankfurt, und zu seinem Wirken in dieser Welt aufgefordert waren, setzen sich alle mit den „letzten Worten“ des am 13. August im Alter von 72 Jahren verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland und Vizepräsidenten des Jüdischen Weltkongresses auseinander: „Ich habe nichts erreicht.“ So bitter hatte Bubis kurz vor seinem Tod in einem Interview sein – öffentliches – Leben bilanziert.
Gestern widersprachen ihm posthum fast alle; auch der Kanzler. Bubis habe im Land der Täter mit seinem Beharren auf der Auseinandersetzung mit der Geschichte das Fundament für die demokratische Gesellschaft von heute mit gelegt: „Gegen die Unkultur des Verdrängens – für die Kultur des Dialogs.“ Anwalt für Minderheiten und Verfolgte sei Bubis immer gewesen. Und eine „moralische Instanz in Deutschland“. Bubis habe also „sehr viel erreicht“; und sein Tod sei deshalb ein „schmerzhafter Verlust für die gesamte Gesellschaft“.
„Bubis machte es möglich, dass Gott wieder in Deutschland leben konnte.“ So würdigte der Generalsekretär des Jüdischen Weltkongresses, Israel Singer, den Verstorbenen. Ohne Menschen wie Bubis hätte kein neues Deutschland entstehen können; und ohne Deutschland kein neues Europa, sagte der US-Amerikaner. Mit Ignatz Bubis sei ein „Speaksman“ für alle Menschen „von uns gegangen“. Jetzt müsse Gott selbst „zu uns“ sprechen. Beifall kam auf in der Synagoge. Verhalten zwar, aber dennoch offenbar eine Sensation bei einer Trauerfeier in einem jüdischen Gotteshaus.
Für den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) ist der „letzte Satz“ von Bubis ein „Stachel im Fleisch“, eine ständige Mahnung daran, Hass und Gewalt nicht zu verharmlosen oder gar den Kampf dagegen aufzugeben. Bubis sei eine „personifizierte Brücke für Begegnungen“ gewesen; für wen, sagte Koch konkret nicht.
Die Vizepräsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, war die Einzige, die den „letzten Satz“ von Bubis nicht in Frage stellte. Es sei auch heute in Deutschland immer noch so, dass für jeden Juden eines Tages dieser fürchterliche „Moment der Erkenntnis“ komme: „Ich bin hier nur Bürger zweiter Klasse.“ Bubis habe ein Leben lang versucht, das zu ändern. Und er habe mit all seiner Kraft versucht, den anderen, die immer noch glauben, dass Juden irgendwie andere Menschen seien, zu beweisen, „dass ein Jude ein guter deutscher Demokrat sein kann“. Bubis habe keinen Hass gekannt. Und er habe tatsächlich immer versucht, „den Abgrund zwischen Deutschen und Juden zu überwinden“, sagte Knobloch.
Dass er damit gescheitert sei, habe Bubis wohl vor einem Jahr in der Paulskirche schmerzlich erfahren müssen: bei der Rede von Martin Walser. Der Schriftsteller habe sich dort für die „Verabschiedung aus der Geschichte“ ausgesprochen; und die „Elite dieses Landes“ sei aufgestanden und habe applaudiert. „Nur Ignatz Bubis und seine Frau blieben sitzen – und Schorlemmer.“
Das, so Knobloch, sei wohl der „Moment der Erkenntnis“ für Bubis gewesen: „Ich habe nichts erreicht.“ Den Konflikt neu auszufechten, dazu sei ihm leider keine Zeit mehr geblieben. Da müssten jetzt „wir alle“ ran. Denn „wir alle“ seien doch „Kinder der Vergangenheit“; und wer sich von ihr verabschiede, höre auf, ein Mensch zu sein, konstatierte Knobloch.
Bubis sei ohnehin in jeder Hinsicht „ein Vorbild für alle“ gewesen, sagte Michel Friedman abschließend: „auch ein Vorbild an Geduld“.
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