: Wind beflügelt Küchenbauer
■ Ökonomie und Ökologie sind keine Gegensätze, wirtschaftlicher Erfolg und Umweltschutz können sich durchaus sinnvoll ergänzen. Eine Schreinerei im oberbergischen Lindlar in der Nähe von Köln zeigt, wie es geht
Schon von weitem sieht man die beiden Flügel des Ventis-Propellers. Der 30 Meter hohe Rotor ist so etwas wie das Wahrzeichen der Möbelwerkstatt Kambium. Stromproduktion aus Windkraft, das ist aber längst nicht alles, was Geschäftsführer Christoph Gehrt und seine Lebensgefährtin Angelika von Proff-Kesseler zu bieten haben. Direkt unter dem Ausstellungsraum, wo sich interessierte Kunden die Küchen „made by Kambium“ ansehen können, liegt die Schreinerwerkstatt. Bandsägen kreischen, Hobel jagen, Späne fliegen – und trotzdem ist kein übler Geruch von Farben oder Kleber zu spüren. Nur der Duft frischer heimischer Hölzer liegt im Raum.
Giftige Materialien sind hier verpönt. Dass „nachhaltiges Wirtschaften“ funktioniert und sich zudem gute Umsätze machen lassen, ohne die Natur zu ruinieren, wissen die beiden Unternehmer. Drei Jahre haben die Kambium-Geschäftsführer geplant und getüftelt, um aus einer herkömmlichen Schreinerei eine auf Naturholz-Küchen spezialisierte Werkstatt zu machen. Es hat sich gelohnt: Seit 1992 läuft der Betrieb, schwarze Zahlen sind hier normal, und die Belegschaft wächst.
„Wir haben versucht, ein ganzheitliches Produktionskonzept umzusetzen“, erzählt der 45-jährige gelernte Schreiner. Gehrt hatte nach elf Jahren in einer konventionellen Schreinerei keine Lust mehr, den Gestank von Leimen und Lösemitteln zu ertragen. Auch die Energie- und Wasserverschwendung war ihm ein Dorn im Auge. Von kurzlebigen Spanholzplatten-Konstruktionen wollte er auch nichts mehr wissen. „Als Schreiner kann man durchaus langlebige Produkte herstellen“, meint er. Die Produktpalette war schnell gefunden: Küchen aus Massivholz sollten den unternehmerischen Durchbruch bringen. Flottes Design, klare Linien und schlichte Eleganz – das sind die Stilmittel, womit sich Kambium etablieren konnte.
Doch wichtiger als die Frage nach Ästhetik war dem Schreinermeister die Umsetzung des Umweltgedankens in seinem neuen Betrieb. „Wir hatten von Anfang an vor, zu zeigen, dass wirtschaftlicher Erfolg mit Umweltbewusstsein vereinbar ist“, sagt Angelika von Proff-Kesseler. Die Mitarbeiter verwenden nur unbedenkliche Materialien: Hölzer aus der Region, Granit, Glas und Edelstahl. Kunststoffe und Lacke sind bei Kambium ebenso tabu wie industriell angefertigte Tischlerplatten. Schränke, Vitrinen und Arbeitsflächen sind massiv und werden in einem separaten Arbeitsgang mehrfach mit Leinöl behandelt. „Das Holz kann atmen und bleibt dennoch feuchtigkeitsabweisend“, so der Kambium-Chef.
Plötzlich ertönt ein kurzer Pfeifton in der Halle. Christoph Gehrt wirft einen Blick auf die Ampel, die neben der Verpressungsanlage an der Wand befestigt ist. Daran haben sich die 38 Mitarbeiter schon gewöhnt. Die Maschine wird runtergefahren, weil die Ampel von Grün auf Gelb gesprungen ist. „So wird allen angezeigt, dass unsere Stromproduktion bald nicht mehr ausreicht, um sämtliche elektrischen Geräte zu betreiben“, erklärt Gehrt. Überflüssige Stromfresser werden ausgeschaltet, sonst muss der Betrieb teuren Strom von den RWE hinzukaufen, weil dem Windrad langsam die Puste ausgeht. Doch unterm Strich produziere man mehr Energie als man selbst verbrauche, betont der Öko-Unternehmer. Die Werkstatt ist in der Lage, bis zu 80 Prozent ihres Strombedarfs aus der Kraft des Windes zu ziehen, der über den luftigen Höhen von Lindlar ordentlich bläst. Im Bergischen Land kommt der 100-Kilowatt-Generator gut auf Touren, überschüssige Energie wird ins öffentliche Netz eingespeist und von den RWE vergütet. Dem Betrieb bleiben fast 10.000 Mark Gewinn aus dem Stromgeschäft.
Damit die Sägen auch bei Windstille nicht komplett auf den Fremdstrom des Essener Energieriesen umgestellt werden müssen, hat Christoph Gehrt zwei kleine Blockheizkraftwerke (BHKW) im Keller des Firmengebäudes untergebracht. Die beiden erdgasbetriebenen Ford-Motoren können je nach Bedarf computergesteuert zugeschaltet werden und eine Maximalleistung von 30 Kilowatt erzeugen. Für den Betrieb ist das selbst bei voller Auslastung meist genug. Die BHKW produzieren nicht nur Strom. Die Abwärme heizt im Winter das Gebäude und wird vor allem zur Holztrocknung eingesetzt. Ein eigens entwickelter Energierechner verteilt den Strombedarf: Bläst der Wind schwächer, springen die kleinen Kraftwerke an. Beide Systeme sind mit den im ganzen Betrieb vorhandenen Ampeln verbunden. Zeigen sie Rot, reichen die Kapazitäten für die Versorgung nicht mehr aus – weniger stromschluckende Arbeiten werden dann vorgezogen. „Das war zwar gewöhnungsbedürftig, doch die Mannschaft ist von dem Konzept überzeugt und zieht mit“, meint Kambium-Chefin Angelika von Proff-Kesseler. Heiz- und Holztrocknungskosten wurden drastisch reduziert. Nicht einmal 400 Mark pro Monat müssen dafür aufgebracht werden. Kambium vermeidet so den Ausstoß von gut 200 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr. Demnächst will Christoph Gehrt auch das Abfallholz vergasen – als Brennstoff für die BHKW.
Die Auftragsbücher sind voll. Doch nicht jeder Interessent wird bedient. Christoph Gehrt weigert sich, seine Küchen, die direkt zum Kunden geliefert werden, weiter als 100 Kilometer zu transportieren. „Wenn wir durch das Windrad Kohlendioxid vermeiden, wollen wir diesen Vorteil nicht durch lange Transporte wieder kaputtmachen“, meint er. Kambium ist ein Beispiel dafür, dass Ökologie und Ökonomie problemlos eine Symbiose eingehen können, die allen nutzt. Michael Franken
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