: Ein rein wirtschaftliches Problem
In der brandenburgischen Grenzstadt Guben hat der örtliche Möbelhändler Unterschriften zur Abwahl des Bürgermeisters gesammelt. Der Vorwurf: Das parteilose Stadtoberhaupt engagiere sich allzu sehr für Polen ■ Von Uta Andresen
Berlin (taz) – War es das Klärwerk? Oder doch der McDonald's? Irgendwann jedenfalls wurde dem Möbelhändler klar: Der Bürgermeister muss gehen, denn der Wirtschaftsstandort Guben ist in Gefahr.
Das ist Version A der Geschichte, die sich derzeit in der brandenburgischen Kleinstadt Guben abspielt. Die Version von Gerold During, dem Möbelhändler. Version B ist die des Bürgermeisters Gottfried Hain. Sie handelt von der Europaschule und dem Deutsch-Slawischen Kulturzentrum. Und davon, dass er nicht den Standort Guben ruiniere, sondern rette oder es zumindest versuche.
Dass Guben an der polnischen Grenze liegt und jenseits der Neiße das polnische Städtchen Gubin, ist dabei nicht unerheblich.
Ende August startet During ein Bürgerbegehren zur Abwahl von Gottfried Hain (parteilos), der seit sechs Jahren Bürgermeister der 27.000-Einwohner-Stadt ist und es noch zwei Jahre bleiben könnte. „In Guben ist kein wirtschaftlicher Aufschwung zu verspüren, Lehrstellen und Arbeitsplätze werden immer knapper, wirtschaftliche Rahmenbedingungen stimmen nicht.“ So weit die Begründung auf den Unterschriftenlisten gegen den Bürgermeister – die schriftliche Form der Vorwürfe also.
Die mündliche lautet anders: „Herr Hain engagiert sich sehr für Polen, nur in die falsche Richtung“, sagt Gerold During. „Er sorgt dort für Arbeitsplätze, nicht hier.“ Zum Beispiel das Klärwerk. Das wurde anstatt in Guben in Gubin gebaut. „Kein einziger Arbeitsplatz auf deutscher Seite.“ Oder das geplante deutsch-polnische Gewerbezentrum, das die Stadtverordneten gekippt haben – zum Glück, wie Herr During meint. „Das wollte Herr Hain auf polnischer Seite bauen.“ Dabei gebe es in Guben genügend Industriebrachen, die genutzt werden könnten. Oder der McDonald's. Der stehe nun in Gubin, auf der anderen Seite der Neiße, mit 60 Arbeitsplätzen. „Den Dreck werfen die Leute dann hier aus dem Fenster, der muss dann mit deutschen Geldern entsorgt werden.“ Insgesamt habe „der Herr Hain“ versagt, rein wirtschaftlich, versteht sich. Und überhaupt: „Wenn erst die EU-Osterweiterung kommt, dann überschwemmen uns hier die Polen“, rein wirtschaftlich, versteht sich.
Herr Hain sieht das anders. 6.000 Bürger haben seit der Wende die ehemalige Industriestadt verlassen, die Arbeitslosigkeit liegt bei 21,7 Prozent. Die Abwassergebühren bei 5,45 Mark pro tausend Liter. Eine schwierige Lage, aber keine ungewöhnlich schlechte in der strukturschwachen Region. „Kein Bürgermeister, dem es um die Entwicklung von Guben geht, kann dieses Ziel erreichen ohne eine gute, erfolgreiche Partnerschaft mit Gubin“, sagt Hain.
Zum Beispiel das Klärwerk. „Das gemeinsame Klärwerk, auf polnischer Seite gebaut und betrieben, ist günstiger, was auch den Gubenern zugute kommt. Auf deutscher Seite hätte es nicht in dem gleichen Maße Fördermittel und Kredite gegeben. So haben wir mindestens 1,50 Mark pro Kubikmeter Abwasser gespart.“ Oder das deutsch-polnische Gewerbezentrum. „Wenn Polen der EU beitritt und wir haben hier kein gemeinsames Gewerbegebiet, werden die großen Unternehmen gleich in die Ballungszentren abwandern.“ Oder der McDonald's. „Wir hatten den Vertrag so gut wie fertig, da hatte sich Mc Donald's anders entschieden. Darauf hatten wir keinen Einfluss. Das Gaststättengewerbe am Ort war sogar erleichtert.“ Und überhaupt: Wäre Guben nicht gemeinsam mit Gubin nicht Euromodellstadt, hätte es auch nie 11,3 Millionen Mark Fördergelder aus Brüssel gegeben. Nicht er, Hain, habe versagt, sondern „Herr During leistet mit seinen Äußerungen den Rechten Vorschub“.
Heute übergeben der Möbelhändler und seine Mitstreiter die Listen dem Gubener Wahlleiter. 4.200 Unterschriften sind nötig, um den Bürgermeister abzuwählen. Was den Ausgang des Verfahrens angeht, sind Herr Hain und Herr During sich einig: „Das kann knapp werden.“
Übrigens: Auf dem Gelände des Möbelhändlers wurden Anfang September, kurz vor der Landtagswahl, 4.000 DVU-Plakate angeliefert. „Davon wusste ich nichts“, behauptet Herr During.
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