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Kiez mit Zukunft

■  Bürgergutachten macht Vorschläge zur Verbesserung der Situation im Wrangelkiez. Anwohner sind motiviert, arme Bewohner ziehen jedoch weg

Im Wrangelkiez ist die Stimmung nicht schlecht. Zumindest nicht so schlecht, wie das viel gescholtene Viertel im Kreuzberger SO 36 in der öffentlichen Diskussion des letzten Jahres erschien. Gestern stellten Peter Strieder (SPD), Senator für Stadtentwicklung, und der grüne Bürgermeister Kreuzbergs, Franz Schulz, ein Bürgergutachten zur Zukunft des Kiezes vor. 78 Bürger wurden nach dem Zufallsprinzip zur Entwicklung von Vorschlägen ausgewählt, um die Lebensqualität in ihrem Viertel zu verbessern. Der Anteil der freiwilligen Gutachter nicht deutscher Herkunft betrug 30 Prozent.

Die wichtigsten Ergebnisse vorweg: Die Bürger geben ihrem Quartier gute Entwicklungschancen, sie haben den Kiez nicht aufgegeben, und sie betonen das Flair und die Atmosphäre. Die Bereitschaft der Integration von ausländischen und deutschen Bürgern ist groß. Die Bürger wenden sich zwar ausdrücklich gegen weitere Kürzungen durch Senat und Bezirk. Gleichwohl betonen sie die Stärkung ehrenamtlicher Aktivitäten, die Hilfe zur Selbsthilfe.

Bürgermeister Schulz wertete allein das Zustandekommen des Gutachtens als großen Erfolg: „Die Bürger sind hoch motiviert. Es ist uns erstmals gelungen, das Bewusstsein von Verantwortung auch auf die Schultern einer großen Gruppe nicht deutscher Bürger zu legen.“ Seine Verwaltung wolle nun einen Zeitplan aufstellen, um die einzelnen Vorschläge umzusetzen. „Das Schlimmste wäre jetzt, keine Taten folgen zu lassen“, warnte Schulz.

Die 78 Bürger, die sich von 400 angeschriebenen Einwohnern zur Mitarbeit entschlossen haben, erarbeiteten innerhalb von vier Tagen Vorschläge zu 16 Themenfeldern. Für jede Arbeitseinheit wurden zwei Experten als Referenten gewonnen, die kontroverse Positionen vertraten und die nötigen Hintergrundinformationen liefern sollten. Anschließend arbeiteten die Gruppen selbstständig an den Themen.

Zwei Beispiele: Im Gutachtenwird die Rücksichtslosigkeit und Aggression im Alltag bemängelt. Die Gutachter schlugen zur besseren Verständigung die Organisation von Grillfesten und Nachbarschaftstreffs vor. Aber auch das Klima zwischen deutschen und türkischen Geschäftsleuten und Händlern müsse besser werden. Eine andere Arbeitseinheit debattierte das Thema Arbeit im Wrangelkiez. Die Gruppen machten Vorschläge zu konkreten Projekten, wie einem bewachten Fahrradparkplatz, kiezbezogener Altenpflege und Begleitdienste sowie der Ansiedelung selbstverwalteten Handwerks. Auch Strieder lobte den Ansatz des Gutachtens, da es sich durch eine „besonders kleinteilige Betrachtungsweise“ auszeichne.

„Denn stadtentwicklungspolitische Ansätze, die für den Wrangelkiez richtig sind, müssen noch lange nicht für den Boxhagener Platz passen.“ Allerdings machten weder Strieder noch Schulz Angaben zur Finanzierung der Ideen. „Viele Vorschläge kosten kein Geld, sondern setzen auf die Eigeninitiative der Bewohner“, wich Schulz aus.

Am Rande einer Pressekonferenz erläuterte der Kreuzberger Bürgermeister allerdings ein anderes, mit Geld verbundenes Problem: „Entgegen der weit verbreiteten Meinung ziehen aus dem Kiez nicht die besser verdienenden Familien weg, sondern die, denen es finanziell richtig schlecht geht.“ Schulz verwies auf eine Studie von Topos, die diese Entwicklung beschreibt. Das Einkommen von Familien nicht deutscher Herkunft habe sich in den letzten Jahren verschlechtert, und hier in Kreuzberg stiegen die Mieten deutlich über den Gesamtberliner Zuwachs, weil bereits drei Viertel der Wohnungen voll saniert seien, nannte er als Gründe für diese „Trendwende“. Das Ergebnis sei bedrückend: „Es findet eine soziale Entmischung statt.“ Annette Rollmann

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