: Hoffnung nach 55 Jahren des Wartens
■ Um die fünf Milliarden Mark sollen zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter bereitgestellt werden. Wer aber zur Arbeit in der Landwirtschaft gezwungen wurde, droht aus der geplanten Regelung zu fallen
Berlin (taz) – Gestern wurden erstmals konkrete Angaben über die Höhe der Gesamtsumme bekannt, mit der die Fonds der Industrie und der Bundesregierung für die Entschädigung der Zwangsarbeiter während der NS-Zeit ausgestattet werden sollen. Nachdem das Handelsblatt zunächst die Summe von 5 Milliarden Mark lanciert hatte, hagelte es Dementis. Während der Sprecher des Industriefonds jede Zahlenangabe verweigerte, war aus Kreisen der deutschen Verhandlungsdelegation etwas von 4 bis 6 Milliarden Mark zu hören.
Die jetzt genannte globale Entschädigungssumme könnte zu einer Beschleunigung der sich quälend hinziehenden Verhandlungen mit den Opferverbänden beziehungsweise ihren Anwälten führen. Denn erst jetzt wird eine realistische Einschätzung der Entschädigungen möglich, die die verschiedenen Gruppen der ehemaligen Zwangsarbeiter zu erwarten haben. Legt man die jetzigen Zahlen zu Grunde, so könnte sich für KZ-Sklavenarbeiter und unter faktischer Gefangenschaft zur Zwangsarbeit Gezwungene die Summe von einigen tausend Mark ergeben, ein Betrag, der allerdings weit unter den 10.000 Mark liegt, die der VW-Konzern „seinen“ Zwangsarbeitern gezahlt hat. Die Hierarchisierung der Opfergruppen, die im Prinzip gerechtfertigt ist und auf die sich die Verhandlungspartner in Washington schon geeinigt hatten, führt allerdings jetzt dazu, dass eine große Opfergruppe vollständig aus der Entschädigung herauszufallen droht: die in der Landwirtschaft eingesetzten ZwangsarbeiterInnen. Sie sollen nur in „Härtefällen“ entschädigt werden. Ursprünglich war vorgesehen, dass die in Aussicht genommene Bundesstiftung zusammen mit Zwangsarbeitern aus den staatlichen Betrieben auch die in der Landwirtschaft Beschäftigten bedenkt. Nach Meinung des Entschädigungsexperten der Bündnisgrünen, Günther Saathoff, sollten wenigstens die am meisten diskriminierten Gruppen von Landarbeitern, nämlich die osteuropäischen zwangsverpflichteten Landarbeiter, in den Kreis der zu Entschädigenden einbezogen werden.
Nach den jetzt bekannten Vorstellungen der Industrie und der Bundesregierung sollen der „Industriefonds“ und die geplante Bundesstiftung für Zwangsarbeiter im Staatssektor in einer einheitlichen Stiftung zusammengefasst werden, an der sich der Bund zu einem Drittel beteiligen will. Die Auszahlung der Gelder soll schwerpunktmäßig über bereits bestehende Stiftungen für Polen, Tschechien und die Nachfolgestaaten der Sowjetunion erfolgen.
Unklar bleibt weiter, in welchem Umfang jetzt, nach Bekanntgabe der Zahlen, sich weitere Firmen, die ausländische Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkriegs einsetzten, am Industriefonds beteiligen werden. Der Sprecher des Industriefonds nannte 20 Unternehmen, darunter einige große. Sollte sich allerdings herausstellen, dass die genannte Globalsumme nach oben hin begrenzt bleibt, hätte eine Erhöhung der Teilnehmerzahl nur für die jetzt beteiligten 16 Firmen angenehme Folgen, für die noch lebenden Zangsarbeiter bliebe sie folgenlos.
Das Problem der „Rechtssicherheit“ für die deutschen Teilnehmer des Industriefonds scheint sich zu entschärfen. Nach dem Urteil eines amerikanischen Bundesgerichts, das die Klage von Zwangsarbeitern als „nicht justiziabel“ abwies, hat sich die Angst der deutschen Unternehmer vor „doppelter Zahlung“ etwas vermindert. Sie könnten sich jetzt auf eine – rechtlich unverbindliche – Abweisungsempfehlung der amerikanischen Regierung einlassen. Christian Semler
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