: Grüne schmusen mit der Wirtschaft
■ Margareta Wolf, wirtschaftspolitische Sprecherin fordert: Weniger Staat und Kündigungsschutz, mehr Lohnöffnungsklauseln
Berlin (taz) – „Grüne für liberale Trendwende“ titelte gestern das Handelsblatt. „Kurswechsel bei der Ökopartei.“ Was ist passiert? Dass der wirtschaftsliberale Flügel der Grünen auf eine strategische Neuorientierung im Sinne eines Schmusekurses mit der Wirtschaft drängt, ist bekannt. Was aber die wirtschaftspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Margareta Wolf, nun als Diskussionspapier für die Fraktion vorgelegt hat, macht die Vorstellungen erstmals sehr konkret: Sie fordert den Abbau staatlicher Regulierung: Liberalisierung, weniger Kündigungsschutz und Lohnöffnungsklauseln.
Ursachen für das Problem Nummer 1, die Arbeitslosigkeit, heißt es in dem Papier, seien die „geringe Flexibilität der Arbeits- und Gütermärkte, die auf eine übermäßige Regelungsdichte zurückzuführen“ sei, sowie die „hohen Lohnnebenkosten“. Deshalb müssten alle staatlichen Maßnahmen überprüft werden – von Produktionsauflagen, Qualitätsstandards und arbeitsrechtlichen Bestimmungen bis zu Berufsordnungen. Argument: In der Vergangenheit hätten sich die Eingriffe des Staates als „nicht zielkonform erwiesen“ und Existenzgründer, Arbeitgeber und Beschäftigte – also eigentlich alle – nur behindert.
Zunächst will die Wirtschaftsexpertin, ganz koalitionsvertragsgemäß, die Handwerksordnung und das Gesetz über die Industrie- und Handelskammern reformieren. Der Meisterbrief soll nun auch noch binnen zehn Jahren nach der Existenzgründung erworben werden können, die Zwangsmitgliedschaft in den Kammern abgeschafft werden. Schon bei den Ladenöffnungszeiten geht Wolf jedoch über die Koalitionsvereinbarungen hinaus: Generell sollen Geschäfte werk- und samstags bis 22 Uhr öffnen dürfen, Händler mit bis zu fünf Beschäftigten sogar jederzeit. So, heißt es, könnten sie Nischen nutzen und andere Wettbewerbsnachteile ausgleichen.
Am meisten Zündstoff bieten dürften Wolfs Vorstellungen von einer neuen Arbeitsmarktordnung und zur „Dezentralisierung des Lohnfindungsprozesses“, sprich: zur weiteren Aushöhlung des Flächentarifvertrages. Einerseits plädiert sie für jährliche Arbeitszeitkonten, betriebliche Arbeitszeitmodelle und Jobrotationen. Dabei betont sie die Freiwilligkeit und formuliert als Ziel, „die individuelle Arbeitszeit zu verkürzen“ und Teilzeitarbeit zu fördern. Einen Lohnausgleich zumindest für die Beschäftigten mit niedrigen Einkommen, wie ihn die Grünen im Programm für die Bundestagswahl 1998 noch forderten, erwähnt sie andererseits nicht. Und mit ihrer Forderung nach mehr Öffnungsklauseln bei den Löhnen, beispielsweise für Jugendliche und entsprechend den „jeweiligen lokalen Gegebenheiten“, die man ganz ähnlich schon im Wirtschaftsbericht 1999 von Bundeswirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) nachlesen kann, setzt sie sich sogar explizit von der Parteiposition ab. Bislang hieß es, man unterstütze „die Bemühungen, den Flächentarifvertrag als wesentliches Element solidarischer Lohnpolitik zu erhalten“.
Ein Schwerpunkt aus dem Wahlprogramm fehlt übrigens ganz: der Anspruch, die „Wirtschaftsmacht der Banken und Konzerne einzugrenzen“. Von einem neuen Aktienrecht, einer Begrenzung der Aufsichtsratsmandate oder der Pflicht zur Offenlegung von Beteiligungen ist bei Wolf nicht die Rede. Beate Willms
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