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Rot-Kohl beim Metaller-Kongress

■ Gerhard Schröder mit Pfiffen und Buh-Rufen empfangen. Bundeskanzler ist verärgert und fleht um Solidarität

So einen Empfang hat es auf einem Gewerkschaftstag für einen SPD-Parteivorsitzenden noch nie gegeben: Statt der üblichen standing ovation empfingen gestern die Delegierten des IG Metall Kongress SPD-Kanzler Gerhard Schröder im Congress Centrum Hamburg mit Pfiffen und Buh-Rufen.

Schon am Morgen hatte der alte neue IG Metall-Chef Klaus Zwi-ckel „ultimativ“ deutlich gemacht, wohin der sozialdemokratische Regierungszug im „Bündnis für Arbeit“ zu fahren habe, damit die IG Metall nicht die Notbremse zieht: zur Rente ab 60 Jahren.

Doch noch bevor Schröder an diesem Nachmittag auf diese Forderung antworten konnte, hatte die IG Metall-Jugend das Wort. Bewaffnet mit „Rot-Kohl“-Köpfen und Spruchbändern belagerten sie unter dem Beifall der über 600 Delegierten die Tribüne und demons-trierten für Ausbildungsplätze. Die Losung: „Wer nicht ausbildet, muss zahlen.“ „Es gibt in diesem Saal wohl nur noch eine Person, die das nicht verstanden hat“, warf eine Sprecherin Schröder vor, erinnerte daran, dass gerade die Sozis in der Opposition jene Umlagenfinanzierung für Ausbildungsbetriebe gefordert haben.

Das Sofortprogramm zur Schaffung überbetrieblicher Ausbildung sei zwar zu begrüßen, so die Rednerin, „es löst aber nicht das aufgelaufene Problem der Jugendarbeitslosigkeit“. Dann wurde dem Kanzler ein roter Pfeil übergeben, „damit Sie sich erinnern, woher Sie gekommen sind“.

Ein sichtlich angeschlagener und verärgerter Schröder bettelte beinahe in seiner 30-minütigen Ansprache um Verständnis, in dem er einige Erfolge der letzten zwölf Monate wie Lohnfortzahlung und Kündigungsschutz auflistete. Mit „Ultimaten“ könne man seiner Auffassung nach die „Globalisierung und Degitalisierung“ der Gesellschaft nicht sozial gestalten. Angesichts der hohen Verschuldung warb er für sein Sparkonzept, da sonst „der Staat handlungsunfähig“ werde, wehrte sich aber gegen den Vorwurf, dass eine „soziale Schieflage“ eingetreten sei.

Angesichts von jährlich 82 Milliarden Mark zur Tilgung der Zinsen sei die „Rente ab 60“ derzeit als „Beschäftigungsbrücke zwischen jung und alt“ nicht finanzierbar. „Sobald wir eine Chance sehen, dies zu finanzieren, bin ich der letzte, der das nicht macht“, versprach Schröder und flehte: „Ich erwarte keine Zustimmung, ich hoffe aber auf kritische Solidarität.“ Stille – verhaltenes Klatschen und schneller Abgang. Peter Müller

siehe Bericht auf Seite 3

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