: Unbeholfenes Geplauder
Medien freuen sich, wenn sie die Personalisierung von Politik auf die Spitze treiben können. Oskar Lafontaines Buch lieferte dafür einen willkommenen Anlass ■ Von René Martens
Nachdem die Welt am Sonntag und die Welt vor vier Tagen damit begonnen hatten, Auszüge aus Oskar Lafontaines Buch „Das Herz schlägt links“ abzudrucken, schien es vor den Details einer vermeintlich ganz besonderen „Männerfeindschaft“ (Welt) kein Entkommen mehr zu geben. Immerhin 20 Seiten war das Thema „Lafontaine contra Schröder“ am Montag dem Spiegel wert.
Doch die Schwarte des ehemaligen Parteivorsitzenden taugt, dem ersten Eindruck zum Trotz, kaum zum globalen Dorftratsch. Schon im Osten scheint das Thema auf weitaus weniger Interesse zu stoßen: Das Neue Deutschland und die junge Welt etwa hatten, im Gegensatz zum Rest, Lafontaine am Montag nicht auf der Titelseite. Und auch bei der Neuen Zürcher Zeitung schaffte er es erst gar nicht bis auf die Frontpage. Am Dienstag flachte der Trubel dann schon wieder merklich ab, die Berliner Zeitung und der Tagesspiegel zum Beispiel fanden die Reaktionen auf Lafontaines Buch nicht mehr titelseitenreif.
An drastischen und großspurigen Charakterisierungen des Werks mangelt es nicht. „Verrat“ witterte der Tagesspiegel, die Welt glaubte, ein „Zentraldokument der politischen Debatte Deutschlands“ vor sich zu haben, das Handelsblatt sogar eine „in der bundesrepublikanischen Geschichte einmalige Abrechnung“. Und der Express schlagzeilte neben einem Lafontaine-Foto: „Sein böses Buch“.
Gewiss, die Medienmacher freuen sich, wenn sie die Personalisierung von Politik auf die Spitze treiben können, und dafür liefert „Das Herz schlägt links“ einen willkommenen Anlass. Andererseits: Sind diese Intimfehden zwischen Machtgockeln aller Art nicht bald mal ausgereizt? Kennt man dieses Gezerre und Gezänke nicht schon zur Genüge von Bekker und Stich, Schumacher und Frentzen, Donald Duck und Gustav Gans?
Inhaltliche Gründe für den Medienwirbel lassen sich schwerlich finden. Die politischen Aussagen Lafontaines sind im besten Fall Binsenweisheiten, der Rest des Buchs besteht aus ermüdendem, oft unbeholfenem Geplauder. Beispielhaft ist eine Passage, die sich auf einen Besuch Hans-Jürgen Wischnewskis und den berühmten Messerangriff auf Lafontaine bezieht und die die Welt besser verschwiegen hätte: „Ich glaube, ich habe mir die Achtung Wischnewskis bei dieser Begegnung dadurch erworben, dass ich, so kurz nach dem Attentat, nach dem gemeinsamen Genuss einer Flasche Condrieux, eines Weißweins aus dem Rhône-Gebiet, die der Koch der Saar-Vertretung, Heinz-Peter Koop, mir gebracht hatte, in seinen Augen beachtliches Stehvermögen bewies.“ In der Politik ist es also wie im richtigen Leben: Wenne was abkannst, biste schwer in Ordnung.
Allzu oft wurde Lafontaine in den Artikeln mit Begriffen wie „links“ oder „rot“ in Verbindung gebracht, obwohl er doch bloß in der alten Mitte stehen geblieben ist und den Wechsel zur Neuen Rechten nicht mitgemacht hat. „Ein Mann sieht rot“, titelte zum Beispiel der Spiegel. Puh, wie viele Stunden haben Stefan Aust und Co. da wohl geschwitzt, bis ihnen das endlich eingefallen ist?
Dass die angegriffenen Politiker mit „eisigem Schweigen“ (Handelsblatt) reagierten, ist im nachhinein als clever zu bewerten. So konnten einige Kollegen aus der Provinz versuchen, sich in den Medien zu profilieren: etwa der stellvertretende Vorsitzende der saarländischen Filiale oder der Sprecher des Seeheimer Kreises. Auch alte, vergessene Kameraden (Erhard Eppler!) hüpften noch einmal in die Schützengräben.
Ziemlich grotesk muteten die gelegentlichen Andeutungen an, Lafontaine habe finanzielle Motive gehabt für die Veröffentlichung „seines Opus magnums“ (Spiegel). „Braucht er das Honorar?“ stichelte auch der Tagesspiegel. „Links schreiben, rechts kassieren“, überschrieb die ZDF-Sendung „Frontal“ einen Beitrag. Vielleicht ist der Oskar ja auch so ein Luxus-Fuzzy wie der VW-Kanzler: „Im Buch ist zu lesen, dass ausgerechnet er dem gerade gewählten Kanzler die teuren Zigarren schenkte, über die sich die Lafontaine-Freunde jetzt so empören.“ (Tagesspiegel)
Den allergrößten Unfug verzapfte naturgemäß die von konkret regelmäßig als „dümmste Zeitung der westlichen Welt“ geadelte Hamburger Morgenpost. „Psychologin erklärt uns den Lafontaine“, titelte sie über einem Foto Oskar Lafontaines, auf dem der Renegat aus Saarbrücken dreinblickte wie der Triebtäter des Monats. „Warum diese Hinrichtung seiner Ex-Kollegen?“, fragte das Boulevard-Blatt. Die Antwort darauf wusste „die Braunschweiger Diplom-Psychologin Birgit Rißland“, denn die „beschäftigt sich seit langem mit der Psyche des ehemaligen Finanzministers“. Das Urteil der Expertin über die „langjährige Beziehung“ zwischen Gerd und Oskar: „Schröder frustrierte Lafontaine schon lange. Wiederholte Frustration führt zu Aggression.“
Was wird all der Trubel am Ende gebracht haben? Vielleicht wenigstens ein paar Welt-Leser weniger. Heinz Noss aus 58452 Witten-Bommern hat bereits gedroht: „Seit nunmehr fast 40 Jahren bin ich Abonnent der Welt. Am liebsten würde ich jetzt kündigen!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen