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Der Weg zur Stadt ohne Fluss

■ Im 101. Lebensjahr verschwand der Überseehafen unter Millionen Tonnen Sand. Das Focke-Museum erinnert mit einer Ausstellung und einem Bildband an seine Geschichte

Am 22. September 1998 legte die „MS Nordland“ vom Schuppen 17 ab und verlies den Bremer Überseehafen. Es sollte das letzte Schiff gewesen sein, dessen Ladung dort gelöscht wurde: Mit dreieinhalb Millionen Tonnen Außenwesersand wurde das 1,6 Kilometer lange Hafenbecken in den folgenden Monaten zugeschüttet.

Wo beinahe ein Jahrhundert lang riesige Frachtschiffe anlegten, um Baumwolle, Tabak oder Kaffee auszuladen, biegt sich heute ein sandiges Roggenfeld im Wind. Und nach und nach verschwinden auch die meisten Schuppen und Speicher am Rande des ehemals größten Bremer Hafenbeckens, um Platz zu machen für die neue Nutzung der 300 Hektar großen städtischen Hafenreviere. Über deren Ausrichtung will der Senat am Ende dieses Jahres eine Grundsatzentscheidung treffen.

Im Focke-Museum dokumentiert nun eine 140 Fotografien umfassende Ausstellung die beeindruckende Geschichte des Überseehafens. Die Schwarzweiß-Aufnahmen stammen aus dem Archiv des Hafenamtes, das 1897 den Bau des Beckens penibel fotografisch festgehalten hat, aus museumseigenen Beständen sowie einer Dokumentation der Fotografin Gabriela Beck, die die Zuschüttung des Hafens über Monate verfolgt hat.

Ein mehrere Quadratmeter großes, vom Stadtplanungsamt entwickeltes Modell im Maßstab 1:500 führt den BesucherInnen plastisch vor Augen, von welch gewaltigem Areal die Rede ist, wenn über die Zukunft der Häfen verhandelt wird: Ein 300 Hektar großes Gelände, dessen östliche Flächen gerade mal zwei Kilometer Luftlinie vom Dom entfernt sind. Allein der Überseehafen mit den benachbarten Holz- und Fabrikenhäfen ist größer als die gesamte umwallte Bremer Innenstadt.

Nicht nur durch seine Ausmaße beeindruckt dieser Ort. Einst als „Kernstück der stadtbremischen Häfen“ gefeiert, galt der Überseehafen wegen des direkten Eisenbahnanschlusses und den elektrischen Krananlagen bereits kurz nach seiner Fertigstellung 1906 als modernster Stückguthafen Europas. Fotos aus den 20er Jahren mit zum Bersten gefüllten Hafenbecken, in dem sich Segel- und Dampfschiffe dicht drängelten, lassen die immense Bedeutung dieses Arbeits- und Handelsplatzes erahnen, an dem die Hafenarbeiter sich wie im Frühkapitalismus noch bis in die 1940er Jahre hinein als Tagelöhner verdingen mussten.

Was dem intensiven Bombardement der Allierten nicht gelang, die ab Mai 1940 den Hafen in Schutt und Asche legten, schaffte schließlich die Einführung der Containerschifffahrt. Nach einer zweiten Boomphase in den 50er Jahren, von der viele Fotos zeugen, erlebte der Überseehafen in den 70er Jahren einen rasanten Niedergang. Die Containerschiffe konnten wegen ihrer Größe die Weser nicht mehr befahren. Der Überseehafen versank in der Bedeutungslosigkeit, wurde zunächst gesperrt, bis schließlich die Zuschüttung des maroden Beckens angeordnet wurde.

Die Ausstellung im Focke-Museum, zu der in der Edition Temmen ein umfangreich bebildertes Begleitbuch erschienen ist, ist nur noch bis zum 17. Oktober zu sehen. Vielleicht findet sie aber an anderem Ort eine ungewöhnliche Fortsetzung, sollte es dem Museum gelingen, seinen Plan zu verwirklichen und im Hafengebiet eine Dependance mit maritimen Schwerpunkt einzurichten. Die ursprüngliche Absicht, diesen Ableger im Speicher 1 zu eröffnen, ist nach Auskunft von Hans-Gerd Hofschen vom Focke-Museum unrealistisch geworden.

Wenn überhaupt, dann favorisiert der Senat als Standort den Speicher 11 am Holzhafen. Das 400 Meter lange Gebäude steht unter Denkmalschutz und darf folglich bei der Neugestaltung der Hafenreviere nicht abgerissen werden – ohne dass bislang klar ist, wie es genutzt werden kann. Die Chancen, dort eine Außenstelle des Focke-Museums einzurichten, sieht Hofschen „momentan bei 50 Prozent“. Die für den Bau veranschlagten 15 Millionen Mark wird das Museum laut Hofschen definitiv nicht aus dem Kulturressort erhalten. Die Hoffnungen ruhen nun auf dem Wirtschaftsressort, das allerdings neben den Bau- auch die Unterhaltskosten tragen müsste. zott

Bis zum 17. Oktober im Focke-Museum. Öffnungszeiten: Di 14-20 Uhr, Mi-So 10-18 Uhr. Weitere Infos gibt es im Internet ( www.bremen.de/info/focke ) oder unter Tel.: 361 32 84. Tel.: Das von Klaus Schlottau und Daniel Tilgner herausgegebene Buch „Der Bremer Überseehafen“ ist soeben in der Edition Temmen erschienen. Es ist 176 Seiten stark und kostet 34 Mark.

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