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■ Das Volk will wissen, was los ist an der Front. Der Vormarsch der Zeitungen im neunzehnten Jahrhundert schuf den Kriegsreporter. Ein historischer Überblick
Das Leben der Kriegsberichterstatter ist gefährlich. Der erste, der in die abendländische Geschichte eingegangen ist, war der Marathon-Mann. 42,2 Kilometer lief er, um den Athenern vom Ausgang der Schlacht gegen die Perser im Jahre 490 v. u. Z. zu künden. Kaum hatte er den Sieg der Griechen verkündet, fiel er tot um.
Lange Zeit war die Kriegsberichterstattung Domäne führender Kriegsteilnehmer wie Gaius Julius Caesar, dessen „Gallischer Krieg“ noch heute den Lateinunterricht bereichert. Sie schrieben, um vor den einflussreichen Schichten in der Heimat ihre eigenen Heldentaten zu rühmen oder Misserfolge zu rechtfertigen.
Erst der Vormarsch der Zeitung mit ihrer Massenleserschaft im neunzehnten Jahrhundert hat eine der zwiespältigsten und ruhmreichsten Figuren des öffentlichen Lebens geschaffen: den Kriegsreporter. Er ist stellvertretend fürs daheim gebliebene Volk an der Front und stillt dessen Hunger nach authentischer Information.
Begründer dieser Tradition war der Brite William Howard Russell. Er wurde von der Times den britischen Truppen an die Fersen geheftet, als diese im Jahre 1854 zur Halbinsel Krim aufbrachen, um die russische Vormachtstellung in der Region zu brechen. Die Regierung wollte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: den internationalen Führungsanspruch Großbritanniens stärken – und der Bevölkerung als Ausgleich zum damals vorherrschenden Manchesterkapitalismus patriotischen Halt geben. Krieg ist gut fürs Nationalgefühl.
Doch man hatte nicht mit Russell gerechnet. Der beschrieb die katastrophalen Zustände im britischen Lager und die Schlachten mit ihren sinnlosen Toten so eindringlich, dass die Regierung durch den Druck der empörten Bevölkerung zum Rücktritt gezwungen wurde – obwohl der Feldzug für die Briten siegreich endete. Als Russell nach Hause zurückkehrte, war er der erklärte Held des Krieges und nicht einer der Generäle.
Seit damals gibt es keinen Krieg mehr ohne Reporter. Nicht alle haben sich freilich der kritischen Berichterstattung verschrieben. Winston Churchill, der für die Londoner Morning Post den Burenkrieg 1899 – 1902 verfolgte, scheute sich nicht, selbst ins Kampfgeschehen einzugreifen, um der britischen Sache zum Sieg zu verhelfen. Sein Bericht von der Flucht aus dem burischen Gefangenenlager wurde zum Bestseller, er selbst wie Russell zum Kriegsheld. Dass die britische Armee sich in diesem Krieg nicht gerade durch Fairness auszeichnete – sie gilt als Erfinder der Konzentrationslager – schien Churchill weniger berichtenswert.
Russell und Churchill stehen für die zwei Pole der Kriegsreportage: neutraler Einsatz für die Wahrheit einerseits, persönlicher Einsatz für die Sache andererseits. Dies ist bis heute so.
Mit der Durchsetzung der Bildmedien ist die vorerst letzte Etappe der Geschichte der Kriegsreportage erreicht. In eineinhalb Minuten wird der Zuschauer vor authentischer Kulisse über die Zustände vor Ort ins Bild gesetzt. Die Kunst der Reportage, mittels eindringlicher Worte und längerer Reflexionen Bilder vor dem inneren Auge des Lesers zu erschaffen, hat demgegenüber nur mehr geringe Chancen. Martin Hager
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