Grüne Bundespolitiker drängten sich geradezu nach Wahlkampfauftritten, doch die Berliner Grünen setzten lieber ganz auf landespolitische Themen. Die „freundliche Distanz“ zur Bundespolitik schien ratsam, denn die Enttäuschung über die Bilanz der rot-grünen Bundesregierung bekommen auch die Berliner Grünen zu spüren. Der Wahlslogan „Berlin ist anders“, mit dem sich die Grünen von der Großen Koalition absetzten, ließ sich denn auch als Abgrenzung zur desolaten Lage der Bundespartei interpretieren.

Ein rot-grüner Wechsel an der Spree ist nicht in Sicht, nun wollen die Grünen als möglichst starke Opposition aus der Wahl hervorgehen. Sie hoffen, das gute Wahlergebnis von 1995 halten zu können, als sie 13,2 Prozent erhielten. In den Umfragen liegen sie mit 12 Prozent derzeit aber leicht darunter. In der grünen Hochburg Kreuzberg haben sie zwei Direktmandate zu verteidigen. Eines davon will der 31jährige Deutschtürke Özcan Mutlu erringen. Ein drittes Direktmandat könnte Jeannette Martins in Prenzlauer Berg holen. Trotz fehlender Aussichten auf einen rot-grünen Wechsel ist die Stimmung bei den Berliner Grünen erstaunlich gut.

Um ihre eigenen Wähler zu mobilisieren, haben die Grünen in der Schlussphase einen gezielten Anti-CDU-Wahlkampf geführt. Gegen die CDU, die mit „Null Toleranz gegen Kriminelle“ wirbt, plakatierten die Grünen „Null Toleranz gegen die Ausländerhetze“.

„Die CDU darf aus den Wahlen nicht gestärkt hervorgehen“, so die grüne Spitzenkandidatin Renate Künast, die im Wahlkampf auf Inline-Skates umstieg. Ihr Slogan: „Diepgen rennt. Künast ist schneller.“ Ihre Kritik an der schlechten Bilanz der Großen Koalition und insbesondere an der CDU traf offenbar den Nerv des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen. In einer Parlamentsdebatte beschimpfte er Künast kürzlich als „Giftmischerin“.

Die PDS gilt den Prognosen zufolge schon jetzt als Gewinnerin der Wahlen zum Abgeordnetenhaus. Meinungsforscher schließen sogar nicht mehr aus, dass die Partei ihre Erfolgsserie der Landttagswahlen in Sachsen und Thüringen fortsetzen und auch in der Bundeshauptstadt zur zweiten politischen Kraft avancieren könnte. Letzte Umfragen sagen der PDS ein Ergebnis um die 18 Prozent vorher. Mit Appellen wie „Gerechtigkeit wählen“ und „So nicht, Herr Schröder“ setzen die Sozialisten im Wahlkampf auf den Protest gegen die Politik der Bundesregierung. Auf eine Regierungsbeteiligung können die Genossen, anders als in Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern, in Berlin nicht hoffen: Der Spitzenkandidat der SPD, Walter Momper, hat eine Zusammenarbeit mit der PDS ebenso ausgeschlossen wie die Grünen. Ohne eine Kooperation mit der PDS aber fehlt SPD und Grünen die Mehrheit. Die Ausgrenzung der PDS, forciert vor allem von der CDU, garantiert daher den Fortbestand der Großen Koalition. Erstmals will die Partei außerdem in alle Bezirksverordnetenversammlungen im Westteil der Stadt einziehen. Bei den Abgeordnetenhauswahlen 1995 erreichte die PDS im Ostteil der Stadt ein Ergebnis von 36,3 Prozent, im Westen blieb es demgegenüber bei spärlichen 2,1 Prozent.

Zum zweiten Mal könnte es den rechtsradikalen „Republikanern“ gelingen, in das Berliner Abgeordnetenhaus einzuziehen. Umfragen zufolge könnten die Rechten in Westberlin vier, in Ostberlin sogar sechs Prozent der Stimmen erhalten. Der Bundesvorsitzende Rolf Schlierer hat die Wahl zum Abgeordnetenhaus zur Chefsache erklärt und 500.000 Mark in den Wahlkampf investiert. Spitzenkandidat Werner Müller, früher im Bundespresseamt tätig, hat bereits versprochen: „Wenn wir die fünf Prozent nicht schaffen, können wir den Laden dichtmachen.“ In der Hauptstadt haben die „Republikaner“ nach eigenen Angaben 800 Mitglieder, davon rund 300 in Ostberlin, Tendenz steigend. Mit platten Sprüchen wie „Berlin wählt jetzt rechts – jut, det is jebongt“ und Plakaten im Stil der dreißiger Jahre, auf denen eine Faust die Große Koalition zerschlägt, will die Partei ihre Wähler mobilisieren. Bei der Abgeordnetenhauswahl 1995 erreichte die Partei lediglich 2,7 Prozent. Zuvor waren die „Republikaner“ von 1989 bis 1990 im Landesparlament vertreten.

Am 6. Juni schöpfte die Berliner FDP wieder Hoffnung. In einer Umfrage kam die Partei auf sechs Prozent. Eine Woche später mussten sich die Liberalen bei der Europawahl auf den Boden der Tatsachen zurückholen lassen. Sie kamen auf 2,4 Prozent. Der Landesvorsitzende Peter Lange, ein Bestattungsunternehmer, hat die Hoffnung trotzdem nicht aufgegeben. Als die Möglichkeit einer absoluten CDU-Mehrheit am Horizont erschien, startete Lange einen Zweitstimmenaufruf. Viel nützen wird das nicht. Seit die FDP vor vier Jahren aus dem Abgeordnetenhaus flog, ist es um den Landesverband der Partei still geworden. Zunächst sorgte noch der Richtungsstreit zwischen National-, Sozial- und Wirtschaftsliberalen für Aufsehen und häufigen Personalwechsel. Der gescheiterte Masseneintritt von Studenten, gegen den sich die Parteirechte vehement wehrte, machte die FDP vollends zur Lachnummer. Seither hat man nichts mehr von ihr gehört. Die Geschlossenheit, die Lange seinen Parteifreunden verordnet hat, geriet zur Friedhofsruhe.

Die Kreuzberger Patriotischen Demokraten/Realistisches Zentrum (KPD/RZ) sind laut Eigenwerbung die „Partei der extremen politischen Mitte“. Seit Jahren fordert der politische Arm aller Kreuzberger Komiker „flottere Melodien für Polizei- und Feuerwehrfahrzeuge“, eine Erhöhung der Hundesteuer um 700 Prozent, ein Rotationsprinzip für Straßennamen, Rauchverbot in Einbahnstraßen und die „Aufstellung einer schnellen Eingreiftruppe zur Rettung des Ozonlochs“. Der übersteigerte Lokalpatriotismus („Kreuzberg zuerst“) der Partei führte die Kreuzberger in nicht enden wollende Straßenschlachten mit politischen Gegnern aus dem Nachbarbezirk Friedrichshain. Gekämpft wurde allerdings in beiderseitigem Einvernehmen nur mit Wasserpistolen und faulem Gemüse. Am Sonntag könnte die Satirepartei ernsthaft in die BVV Kreuzberg einziehen: Bei den letzten BVV-Wahlen kam sie auf über vier Prozent der Stimmen. Diesmal gilt nur eine Dreiprozenthürde.

Dorothee Winden, Andreas Spannbauer, Ralph Bollmann