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Katastrophen-AKW bleibt am Netz

Bank verschärft Kreditbedingungen für Tschernobyl-Ersatzreaktoren. Geberländer entscheiden frühestens im November über die Finanzierung  ■   Von Maike Rademaker

Berlin (taz) – Ganz leise, heimlich und unbemerkt hat die rot-grüne Bundesregierung eine zentrale Entscheidung wieder auf die lange Bank geschoben. Ob die Ukraine Kredite in Gesamthöhe von 1,5 Milliarden US-Dollar bekommen soll, um zwei Ersatzreaktoren für das Katastrophenatomkraftwerk in Tschernobyl zu kaufen, steht nun erst im November auf der Tagesordnung. Ursprünglich sollte bereits im September geklärt werden, ob Berlin tatsächlich im Ausland Kernenergie fördern kann, während man im eigenen Land den Ausstieg vorantreiben will.

Willkommener Anlass für den Aufschub war offenbar die Entscheidung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London, EBRD, ebenfalls noch etwas länger über die Kredite nachzudenken.

Hinter den Kulissen allerdings ist es nicht ganz so leise, Gespräche, Besuche, Diskussionen laufen weiter. Die Finanzierung und damit Fertigstellung der beiden Ersatzreaktoren, Chmelnitzky 2 und Rowno 4 (K2/R4), ist umstritten. Die Reaktoren seien nicht sicher, die Kosten viel zu hoch. Und der Strom werde auch gar nicht gebraucht. Zudem sei es angesichts der desolaten wirtschaftlichen Situation in der Ukraine bei weitem nicht sicher, dass die Kredite in irgendwie absehbarer Zeit zurückgezahlt werden können. Das waren bislang die Argumente, die Kritiker gegen die Finanzierung der neuen Kernkraftwerke zu Felde führten.

Im Juli hatten Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) das Land besucht und Präsident Leonid Kutschma davon zu überzeugen versucht, dass Alternativen wie Kohlekraftwerke nicht nur sicherer, sondern auch wirtschaftlich sinnvoller seien. Erfolglos allerdings.

Wichtig ist den Westfinanziers vor allem, dass die Ukraine Tschernobyl, wie vereinbart, zum Jahr 2000 abschaltet. Genau daran denkt die Ukraine aber nicht. Im September meldete die Regierung, man könne den Reaktor diesen Winter ohnehin nicht abschalten, weil man den Strom für den kommenden Winter brauche. Außerdem könne man bis zum 1. Januar auch nicht die Arbeiten beenden, die ein sicheres Abschalten gewährleisteten, so Mykola Dudchenko, Präsident der staatlichen Energiebehörde Energoatom.

Ein weiter laufender Tschernobyl-Reaktor hilft den Ukrainern allerdings auch nicht über den Winter. Die Probleme werden dadurch sogar wesentlich größer. Lediglich 7 der 14 arbeitenden Nuklearstationen haben laut Energoatom überhaupt genug Brennstoff für die kalte Zeit. Bezahlen kann Energoatom neuen Brennstoff eigentlich nicht, jedenfalls nicht aus Stromeinnahmen – weil kaum jemand die Rechnung zahlt.

Deswegen hat die Regierung im September der Behörde erlaubt, für den Einkauf von Brennstoff kommerzielle Kredite aufzunehmen. Die angespannte finanzielle Lage entschärft diese Erlaubnis nicht, aber sie wärmt die Ukrainer.

Der EBRD sind diese Schwierigkeiten nicht verborgen geblieben: Sie verordnete dem Land eine schmerzhafte Therapie auf dem Weg zu dem ersehnten Kredit. Das Land müsse die regionalen Elektrizitätswerke privatisieren, meldete die Financial Times kürzlich. Allerdings müsste diese Privatisierung vor einer Bewilligung der Kredite abgeschlossen sein.

Experten gehen aber davon aus, dass das Land das nicht bis November schaffen kann. Immerhin stehen noch in diesem Monat Wahlen an, denen aller Voraussicht nach Stichwahlen im nächsten folgen werden.

Die deutsche Position zum Thema K2/R4 bleibt indessen weiter unklar. Dem Bundesumweltministerium fallen weiterhin gute Gründe ein, den Krediten ablehnend gegenüber zu stehen. In einem Bericht zur Sicherheit der Ostreaktoren für den Umweltausschuss des Bundestages, der bereits im Juni erstellt, aber erst im September diskutiert wurde, befürchtet man vor allem, dass das Land finanziell nicht in der Lage sei, die Sicherheit der Kraftwerke dauerhaft zu gewährleisten. Der Westen müsse voraussichtlich über Jahre weiter für Wartung und Aufrüstung zahlen – oder der Ukraine erlauben, Atomstrom zu exportieren. „Keine dieser Alternativen ist akzeptabel“, heißt es in dem Bericht. Weiterhin fehlen Fortschritte bei den geforderten Reformen im Energiesektor – eben bei der Privatisierung, aber auch bei der Einnahmensicherung der Energiebehörden.

Die Meinung des BMU hat, auch wenn es letztlich Bundeskanzler Schröder sein wird, der entscheidet, Relevanz. Das Ministerium ist im Vorsitz der G-7-Arbeitsgruppe zu nuklearer Sicherheit und über seine regelmäßigen Besuche in der Ukraine schließlich bestens informiert. Angesichts der Probleme in der Ukraine bezweifeln dessen Experten inzwischen allerdings, dass es überhaupt bald eine Entscheidung gibt. Und so lange bleibt der Schrottreaktor Tschernobyl an.

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