: Großmäulige Nazi-Rülpser
■ Dem Widu-Theater ist in Oldenburg mit der Inszenierung „Angst im Kopf“ ein bewegendes Jugendtheaterstück gelungen
Deutschland ist ein Saustall. Bierdosen fliegen rum, rülpsende Teenager grölen Parolen, Springerstiefel hallen schwer. „Deutschland ist ein Saustall“, finden züchtige Eltern. „Ordnung und Disziplin“ war schon die Losung der Großeltern. „Jawoll, Ausländer raus“, grölen die prügelnden Enkel – und schmeißen rülpsend Bierdosen durch die Gegend. In dieser Schleife bewegt sich die „Angst im Kopf“ – hochnotwendige Uraufführung eines längst überfälligen Stückes Jugendtheater, aus der Feder der „Grips“-Autoren Anja Tuckermann und Guntram Weber (Berlin).
Hochaktuell auch der Ort: Oldenburg machte kürzlich Schlagzeilen, als Skins auf dem Kramermarkt mal wieder geprügelt haben. Ein – so gesehen – seltener Glücksfall, die aktuelle Inszenierung des „Widu-Theater“, konzipiert für die Jahrgangsstufen fünf bis zehn.
Baugerüste, Bierdosen und Springerstiefel zucken in grellen Lichtblitzen zum Hämmern von Rammstein und Tocotronic. Die Bühne der „Fabrik Rosenstraße“ ist eine Halde, ein unwirtlicher Ort, in den sich zwei Gestalten mit Clownsnase verirrt haben. Verlassen können sie den Ort nicht mehr – die Türen sind verschlossen. Und so versuchen sie, sich in dem Gerümpel zurecht zu finden, die Gegenstände zu beleben. Geschichten entstehen als Flashback, mit ihnen verändern sich die Personen. Clownsnase August (Dieter Hinrichs) hält in den Breaks erschreckt inne: sein netter Kumpel (Katja Geist) ist im Laufe dieser Zeitreise durch die Kindheit und die erniedrigenden Erziehungsstile der Eltern zum bomberjackentragenden, großmäuligen Rülpser mutiert.
Obwohl die Rollen so verteilt sind, wirkt Dieter Hinrichs doch manchmal zu bremsend in dieser musikalisch-szenischen Montage, deren Tempo weitgehend von Katja Geists Wandlungsfähigkeit bestimmt wird. Als schlaksiges, pubertäres Schnodderwesen kreischt sie „there will be a day that everybody does the things that I say“, als gekränkter Narziss lässt sie im rot zuckenden Lichtblitz imaginierte Opfer die Stiefel spüren.
In der Regie Rotraud de Neves wird diese schleichende Eskalation emotional greifbar – sowohl Jugendliche als auch deren Eltern im Premierenpublikum waren sicht- und hörbar berührt. Doch der Bühnenraum bleibt nicht auswegslos: mit dem Rap darüber, wie man sich versteht (Lieder: Sebastian Venus) öffnen sich sich die bis dahin verschlossenen Türen. Zumindest auf der Bühne. Marijke Gerwin
In der Fabrik Rosentraße ab Februar 2000 wieder zu sehen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen