: Ausländer sind grundsätzlich benachteiligt“
■ Der ehemalige Insassenvertreter der Männerhaftanstalt Tegel, Murat Aksoy, über die Situation von Ausländern im Knast. Wer Deutsch spricht hat es leichter, er kann seine Rechte geltend machen
taz: Herr Aksoy, was waren für Sie die schlimmsten Erfahrungen in der Haftanstalt Tegel ?
Murat Aksoy: Das Schlimmste war, von meiner Familie durch die Haftstrafe so lange getrennt zu sein. Und dass man als Ausländer im Knast ein Mensch zweiter Klasse ist und grundsätzlich benachteiligt wird.
Was ist darunter genau zu verstehen?
Vollzugslockerungen wie Ausgang und Urlaub werden zumeist mit der Begründung verwehrt, dass nach der Haft eine Abschiebung ansteht und deshalb Fluchtgefahr besteht. Dabei gibt es entsprechende Beschlüsse der Oberlandesgerichte Hamm und Mainz, die besagen, dass eine drohende Ausweisung kein Grund für die Ablehnung von Vollzugslockerungen ist.
Gibt es zwischen den Ethnien Unterschiede, was die Haftsituation angeht?
Ausländer, die der deutschen Sprache mächtig sind, haben es leichter, weil sie sich ausdrücken und ihre Rechte besser geltend machen können. Das betrifft nicht nur Türken. Aber es gibt auch viele Gefangene, die überhaupt kein Deutsch können und mit dem Sozialarbeiter nicht über ihren Vollzugsplan reden können. Viele wissen überhaupt nicht, was ein Vollzugsplan ist.
Wird dann ein Dolmetscher hinzugezogen?
Während meiner Haftzeit in Tegel habe ich keinen Dolmetscher zu Gesicht bekommen. Ich habe in solchen Fällen oft als eine Art Berater fungiert, indem ich für Türken und türkischstämmige Bulgaren übersetzt habe. Die Vietnamesen haben mir mit Händen und Füßen bedeutet, was sie wollen. Dann bin ich mit denen zum Sozialarbeiter gegangen und habe es dem erklärt. Es ging mit Mühe und Not.
Wie steht es mit der Weiterbildung?
Ein von Abschiebung bedrohter Ausländer bekommt keine Ausbildung, weil das Arbeitsamt nicht bereit ist, diese Kosten zu übernehmen. Begründet wird dies damit, dass von Ausweisung bedrohte Insassen nach ihrer Entlassung nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen. Manche ausländischen Inhaftierten haben Glück und bekommen bei der Ziegner-Stiftung einen Ausbildungsplatz. Aber das sind sehr, sehr wenige.
Wie ist die Verköstigung? Hat sich die Küche auf die verschiedenen Kulturen eingestellt?
Überhaupt nicht. Es gibt nur Normalkost und Moslemkost. Das Essen für Moslems enthält kein Schweinefleisch und ist fast immer gleich. Zum Schluss ist es mir zum Hals herausgekommen.
Sind durch die verschiedenen Ethnien Subkulturen im Knast entstanden, durch die der Drogenhandel in Tegel begünstigt wird?
Gedealt wird von Einzelpersonen fast aller Nationen: Deutsche, Türken, Vietnamesen und Rumänen.
Wie kommt das Vielvölkergemisch im Knast untereinander aus?
Im Knast wird viel über Politik diskutiert, aber es ist noch nicht eskaliert. Es gibt immer mal Probleme zwischen Serben und Kosovo-Albanern, Israelis und Palästinensern oder Kurden und Türken. Insgesamt versucht man, sich aus dem Wege zu gehen. Die Gruppen bleiben eher unter sich. Wegen der Vollzugslockerungen will sich keiner was verscherzen. Aber es kann nicht mehr lange dauern, bis es knallt. Der Frust über die fehlenden Vollzugslockerungen und langen Einschlusszeiten in einigen Häusern nimmt immer mehr zu. Auch was die Überbelegung betrifft. In Teilen des Knastes sind schon die Gruppenräume zu Gemeinschaftszellen umgebaut worden. Es werden immer mehr Gefangene und immer weniger Beamte.
Wie gehen die Justizbediensteten in Tegel mit den Ausländern um?
Bisher waren die Schließer meistens sehr fair. Denen ist völlig schnuppe, woher der Einzelne kommt. So ungefähr nach dem Motto: Scheißt du mir nicht in Karre, lass ich dich in Ruhe. Auf die obere Knastverwaltung schieben die Insassen allerdings einen großen Frust, inbesondere was den Vollzugsleiter angeht. Beschwerden werden von dem grundsätzlich nach der Devise abgewiegelt: „Nix Ahnung“.
Interview: Plutonia Plarre
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