: Sparen auf Kosten der Jugend
Bis Ende des Jahres sollen 200 Familien weniger ambulante Hilfen zur Erziehung bekommen. Träger sprechen von Willkür ■ Von Sandra Wilsdorf
Es gibt zu viel Hilfe in Hamburg. Jedenfalls findet das die Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung (BSJB) in Bezug auf die ambulanten Hilfen zur Erziehung. In einem Schreiben hat deshalb das Amt für Jugend den Bezirksämtern mitgeteilt, dass Erziehungsbeistände, Betreuungshelfer und sozialpädagogische Familienhilfen bis Ende des Jahres nur noch in Ausnahmefällen genehmigt werden dürfen. Hilfe gibt es nur noch, wenn beispielsweise ein Kind misshandelt wird oder wenn es sonst in einem Heim untergebracht werden müsste. Alle Familien, die diese Hilfen bisher bekommen, werden überprüft. Mit einem Ziel: Bis zum Ende des Jahres will die BSJB mindestens 200 Familien die ambulante Hilfe streichen. „Wir haben uns mit den Trägern auf eine Budgetierung auf 1650 Fälle fürs kommende Jahr geeinigt, es sind schon 1900“, sagt Dr. Hartmut Wiedermann, Leiter des Jugendamtes.
Das nennt Günter Heinemann, beim Rauhen Haus Bereichsleiter für Eimsbüttel und Altona, „blanken Zynismus“: „Wir lassen viele Stellen zum Jahresende auslaufen und erreichen so, dass wir im kommenden Jahr das Budget einhalten können. Der Erlass zu diesem Zeitpunkt ist da eine feindselige Vorwegnahme einer ohnehin problematischen Sache.“
Die Behörde rechtfertigt den Erlass damit, dass die Zahl der ambulanten Hilfen seit 1996 um 1000 gestiegen sei. „Das sprengt einfach den Haushalt“, sagt Wiedermann. Eine Studie habe ergeben, dass nur ein Drittel dieser Hilfen sinnvoll sei, bei einem Drittel ließ es sich nicht feststellen, und bei einem Drittel waren die Maßnahmen unwirksam. Auch das nennt Heinemann vom Rauhen Haus zynisch: „Bei manchen Familien ist es schon ein Erfolg, wenn sich die Situation nicht verschlechtert, das lässt sich doch empirisch nicht erfassen.“
Auch Martina Feistritzer, bei der Alida-Stiftung für den Bereich Frauen, Kinder und Familien zuständig, ist sauer: „Mich macht besonders der Umgang wütend“, spricht sie von „Willkür-Maßnahmen“. In ihrem Bereich hat der Erlass bereits dazu geführt, dass eine Hilfe eventuell gestrichen und eine andere Familie mit deutlich weniger Stunden betreut wird.
Unter den Mitarbeitern verschiedener Einrichtungen brodelt es. In einem internen Schreiben heißt es, „die Sparpolitik geht ausschließlich zu Lasten benachteiligter Kinder und Jugendlicher, dem sensibelsten Bereich der Jugendhilfe überhaupt“. Das findet auch Marco Carini, Pressesprecher der Gruppe Regenbogen, und nennt das Vorgehen der Behörde „einen Skandal“ und „die brutalste Form, Sozialpolitik zu steuern“. Er kündigte eine parlamentarische Initiative an.
Peter Göritz, pädagogischer Leiter der Großstadt-Mission, rechnet mit „gravierenden Folgen für unsere Arbeit und das Vertrauen, das wir in jahrelanger Arbeit erworben haben“, wenn der Erlass umgesetzt wird. Und eine Mitarbeiterin vom Abendroth-Haus sagt es so: „Das ist ein saumäßiger Umgang mit uns, die wir die Probleme dieser Stadt abarbeiten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen