: SPD: Basis und Funktionäre zanken sich
■ Sozialdemokraten aus der zweiten Reihe fordern Diskussion über Führungsspitze
Die Berliner SPD bleibt berechenbar. Noch am Wahlabend hatte die CDU gehöhnt: Spannend sei jetzt vor allem die Frage, wie viele Parteitage die Sozialdemokraten bräuchten, um ihre eigene Basis von einer Neuauflage der Großen Koalition zu überzeugen.
Jetzt steht fest: Die Delegierten werden mindestens zweimal antreten müssen. Wenn die Sondierungsgespräche mit der CDU am kommenden Montag nicht in einem Zerwürfnis enden, wird der SPD-Landesausschuss wohl den Beginn regelrechter Koalitonsgespräche empfehlen – und gleichzeitig für Anfang November einen Sonderparteitag zu dieser Frage einberufen. Dafür werden die Koalitionskritiker unter den 23 Kreisvorsitzenden sorgen. Nach der Satzung muss ein Parteitag einberufen werden, wenn er von mindestens 8 Kreisverbänden gefordert wird.
Die SPD-Spitze um den Parteivorsitzenden Peter Strieder und den Fraktionsvorsitzenden Klaus Böger hätte es am liebsten vermieden, schon jetzt ein Votum der Basis einzuholen. Es sei „schädlich“, wenn dadurch „der innere Klärungsprozess sehr stark nach außen getragen“ würde.
Vor allem können sich die Chefs über das Ergebnis dieser „Klärung“ keineswegs sicher sein. In der kommenden Woche werden die einzelnen Kreisverbände ihre Marschrichtung festlegen. „An der Basis gärt es“, sagt der SPD-Innenpolitiker Hans-Georg Lorenz.
Auch Fraktionsvize Christian Gaebler sieht „eine Stimmung gegen die Große Koalition“. Wenn die Verhandlungsdelegation grünes Licht wolle, müsse sie „argumentativ nachlegen“. Dazu gehöre auch „ein Erfolg versprechendes Personalkonzept“.
Lorenz nimmt ebenfalls die Führungsriege der Partei ins Visier. In einem Diskussionspapier, das der taz vorliegt, schreibt er: „An sozialdemokratischer Politik hat die Stadt Interesse. Daran, dass einige Sozialdemokraten Dienstwagen fahren, aber nicht!“ Gegenüber einer CDU-Minderheitsregierung habe die SPD kaum weniger „gestalterischen Einfluss“ als in einer neuerlichen Koalition. In der Opposition habe die Partei „nur einen Nachteil: Sie kommt nicht an die Fleischtöpfe.“ Die Parteiführung werde versuchen, fürchtet Lorenz, die Angst der Funktionäre vor Neuwahlen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.
Die zahlreichen Kritiker monieren vor allem, dass Strieder und Böger der Union ohne Not einen Teil der Verantwortung abgenommen hätten, die sich aus ihrem „Regierungsauftrag“ ergebe. Die Verhandlungsdelegation müsse sich fragen lassen, sagt Christian Gaebler, ob sie mit der CDU auch die mögliche Tolerierung eines Minderheitssenats ernsthaft diskutiert habe.
Auf groteske Weise wiederholt sich jene innerparteiliche Debatte, die die Sozialdemokraten bereits 1995 geführt hatten. Damals dauerte es drei Monate, bis die SPD auf insgesamt drei Parteitagen einer Neuauflage der Koalition zugestimmt hatte. Diesmal hofft die Parteispitze, den Prozess abkürzen zu können. Immerhin hat sie es diesmal geschafft, die Sondierungsgespräche ohne vorherigen Parteitagsbeschluss aufzunehmen.
Welche greifbaren Ergebnisse das neuerliche Gespräch mit den Christdemokraten am Montag ergeben könnte, bleibt aber weiter unklar. Allzu offensichtlich bettelt die SPD nur darum, dass ihr die Union eine bessere Startposition für die nächsten Wahlen verschafft, indem sie die Verantwortung für ein paar Grausamkeiten übernimmt.
Um die Delegierten zu überzeugen, will Fraktionschef Böger sozialdemokratische Traditionen beschwören. „Erst kommt die Stadt, dann die Partei“, sagt sein Sprecher. Das sei die „Politik Willy Brandts“. Ralph Bollmann
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