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Wahlbetrug schwersten Ausmaßes“

■  Heute soll die Koalitionsrunde über neue Richtlinien für den Rüstungsexport beraten. Die sind so vage wie die alten, sagt Jürgen Grässlin, Kritischer Aktionär bei DaimlerChrysler und Vorstand des Rüstungs-Informationsbüros Baden-Württemberg

taz: Herr Grässlin, in den neuen „Politischen Grundsätzen“ der Bundesregierung werden erstmals die Menschenrechte als Kriterium für Rüstungsexporte genannt. Wird die Ausfuhr von Waffen damit deutlich eingeschränkt?

Jürgen Grässlin: In der realen Exportpraxis wird sie damit überhaupt nicht eingeschränkt. Auch nicht im Vergleich zu den vorangegangenen Rahmenrichtlinien, die 1982 von der SPD/FDP-Koalition unter Helmut Schmidt formuliert worden sind. Mit diesem Text hat dann auch die christlich-liberale Bundesregierung unter Kohl eine Rüstungsexportpolitik betrieben, die den Tod von tausenden von Menschen zur Folge hatte. Die Frage, die sich die SPD-geführte Bundesregierung stellen muss ist: Will sie in Zukunft auch die Mitverantwortung tragen für verstümmelte, zerfetzte und zerschossene Körper auf den Schlachtfeldern in aller Welt?

Gibt es denn überhaupt keine Verbesserungen im Vergleich zu dem Papier von 1982?

Doch. Die Richtlinien enthalten an zwei Stellen positive Entwicklungen. Zum einen wird jährlich ein Rüstungsexportbericht publiziert. Zum anderen wird die Menschenrechtsfrage wenigstens erwähnt. Leider wird diese zur Worthülse degradiert.

Warum?

Da die Frage der Menschenrechte in der mir bekannten Textfassung – das Papier ist streng vertraulich – nur in der Präambel kurz erwähnt wird, könnte man zwar davon ausgehen, dass man ihr Bedeutung zumisst. Allerdings erfolgt weder für Nato- noch für Nicht-Nato-Staaten eine konkrete Ausführung. Wenn man die praktische Exportpolitik der Bundesregierung betrachtet – denken Sie nur an die erwogene Leopard-II-Lieferung an die Türkei –, sieht die Realität anders aus. Da wurden und werden Menschenrechte den Interessen der deutschen Rüstungsindustrie untergeordnet.

Der Export in Nato-Länder soll auch weiterhin nicht beschränkt werden, aber die Empfänger sollen den Verbleib der Ware in ihrem Land glaubhaft machen. Wie hat das in der Vergangenheit funktioniert, und wie kann die Bundesrepublik das kontrollieren?

Eine restriktive Exportpolitik setzt voraus, dass man ernsthaft kontrollieren will. Das war bisher nicht der Fall. Um dieses Ziel zu erreichen, muss man es in den Richtlinien festschreiben. Die Formulierungen sind so vage und offen, dass mit einer tatsächlichen Kontrolle nicht zu rechnen ist.

Das heißt, deutsche Waffen und Lizenzen können von Nato-Partnern auch in problematische Drittländer verkauft werden?

Bis jetzt ist das so. Wenn man es ändern wollte, müsste man in die „Politischen Grundsätze“ schreiben, dass Exporte nur dann genehmigt werden, wenn der Endverbleib der Rüstungsgüter im Empfängerland vertraglich bindend garantiert und kontrolliert wird. Ausnahmen darf es nur geben, wenn die Bundesregierung nach Prüfung der Menschenrechtslage im Drittland schriftlich zustimmt. Nur mit der Aufnahme eines solchen Passus wäre der Verbleib garantiert.

Das Papier sagt ja auch, dass der Export von Rüstungsgütern in Nicht-Nato-Länder eingeschränkt bleibt, außer bei Ausnahmen „auf Grund besonderer politischer Erwägungen“ oder wenn „besondere außen- und sicherheitspolitische Interessen“ der Bundesrepublik oder der Nato für eine Genehmigung sprechen. Wie eingeschränkt ist der Export dann noch?

Da die bisherigen Regierungen – und die jetzige scheint keine Ausnahme zu machen – das Interesse der Rüstungsexportpolitik über die Wahrung der Menschenrechte gestellt haben, bedeutet die Einschränkung in der Praxis gar nichts. Auch hier müsste man konkrete Regularien schaffen. Für die Bewertung der Menschenrechte im Empfängerland müsste ein Menschenrechtsrat geschaffen werden, dem das Auswärtige Amt, der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung und Nichtregierungsorganisationen angehören. Diesem Gremium müsste ein Vetorecht bei Fragen des Rüstungsexportes zustehen.

Rot-Grün ist ja auch mit dem Anspruch angetreten, dass die Menschenrechte in der Politik stärker berücksichtig werden sollen. Tut sie das mit der jetzt vorliegenden Fassung der „Politischen Grundsätze“?

Nein. Ich halte das Papier für einen Wahlbetrug schwersten Ausmaßes. Wenn der Text so verabschiedet wird, zeigt sich auch bei Rot-Grün die Verlogenheit der Politik in der Menschenrechtsfrage. Den Krieg im Kosovo hat man damit begründet, dass man die Menschenrechte schützen will. In der Folge der neuen Richtlinien aber würde es weitere tausende von Toten und Verstümmelten durch den Einsatz deutscher Exportwaffen geben.

Was folgt für Sie daraus?

Ich war 1993 beteiligt an einer Anzeige gegen die Kohl-Regierung wegen Beihilfe zum Völkermord in Sachen Rüstungsexport. Sollten die Richtlinien in dieser Form verabschiedet werden, dann geht das Morden mit deutschen Waffen weiter. Dann können wir eine Anzeige wegen Beihilfe zum Völkermord auch gegen diese Regierung nicht ausschließen. Interview: Karin Nink

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