: Tanzen fürs treue und betagte Publikum
■ Am Oldenburgischen Staatstheater feierte Irina Pauls Tanztheater „Nur einmal komm!“ eine gelungene Uraufführung. Subtile Kritik an den Kritikern der jüngsten Zeit?
Offenbar haben die neuerlichen Bugschüsse gegen das Oldenburgische Staatstheater – diesmal mit Zielscheibe Tanztheater – ihre öffentliche Wirkung nicht verfehlt. Die Uraufführung „Nur einmal komm!“ von Irina Pauls war alles andere als gut besucht. Doch gerade das betagtere Publikum hatte der Tanzdirektorin die Stange gehalten: Irina Pauls hatte unlängst noch die Überalterung des Oldenburgischen Stammpublikums kritisch gewürdigt und damit die Frage nach der Machbarkeit des Neuen, Unkonventionellen verknüpft. Das durfte zwar eine Helga Schuchard vor zwei Jahren auf dem Podium des Staatstheaters unbeschadet tun, aber bitte schön, die saß schließlich in Hannover.
In Oldenburg muss man sich seine Meriten jedoch erst verdienen, und derartige Nestbeschmutzungen entfachten postwendend in der örtlichen Tagespresse ein kleines Fegefeuer. Dabei steht die künstlerische Qualität der Pauls auch hier bislang außer Frage. Verbrannt werden soll wohl aber eher nach wie vor der Intendant höchstpersönlich, obwohl Stephan Mettin seinen Vertrag sowieso nur noch bis zum Ende der Spielzeit erfüllt. Warum ihm dennoch – und damit der breiten Öffentlichkeit – im örtlichen Feuilleton per Interview Disziplinarmaßnahmen gegen seine Tanzchefin suggeriert werden?
Offensichtlich ist diese Provinzposse bereits soweit gediehen, dass dem Staatstheater eine bundesweite Profilierung über das hervorragende Tanztheater missgönnt wird. Zurückgehende Besucherzahlen dienen als Vorwand für diese Brandstiftung – und zeigen sich doch eher als ihr Ergebnis. Zu Las- ten der Kunst, die den Feuilletons doch am Herzen liegen sollte – worüber wollten sie sonst berichten?
„Nur einmal komm!“ scheint eine subtile Replik. Unentwegt plappernd spielt Viviana Escalé (neu im Ensemble) mit ihren Muscheln inmitten eines Waldes rinnender Wasserhähne. Vergeblich versucht sie, ihren Gefährten (Renato Jones) mit dem rauschenden Klang der Muscheln zu beglücken. Denn diesen „Schmerzton, den Ruf von weither“, den Ingeborg Bachmanns Undine vernahm, hört der autistische Spieler Dostojewskijs nur in sich selbst. Diese beiden literarischen Figuren konfrontiert Irina Pauls als Individuen mit einer konformen Masse: das Rest-Ensemble trägt schon äußerlich als Zeichen der Anpassung des Kollektivs uniformes Weiß und korsettartige Leibchen.
Von der Anlage her zeigt das Stück Parallelen zu Wim Vandekeybus Tanzopern. Verschiedene Handlungsstränge erwachsen aus Haupt- und Nebenschauplätzen, die zugleich auf der Bühne agieren, als anarchisches Durch- und Nebeneinander von Orchester, TänzerInnen und Staff. Und auch die Thematik – der Versuch, Sprache und Individualität zu finden, gegen normative Kräfte – scheint verwandt. Doch die Bilder sind ungleich feiner gewebt. Zu Tschaikowsky, Krenek und Korea plappert unentwegt eine Batterie von Spielautomaten am Bühnenrand, ernstes Andante wird profanisiert. Dirigent Raoul Grüneis wird vom Autisten hinterrücks befingert, ihre Bewegungen verschmelzen zur heftigen Geste, das nicht Sagbare sucht die Musik.
Und da ist die Muschelliebende: Wo sie fröhlich betört, gefällt sie. Doch speit ein werbender Liebhaber das Wasser ihres Kusses lieber gleich wieder aus: Infektionsgefahr mit den Tiefen, aus denen heraus sie schließlich nur noch Schreie findet – herrlich falsche Töne zu elegischem Grieg. Und der Mainstream feiert eine Party, sie stapfen übereinander weg, aufeinander drauf. Zeitweilige Berührungen mit den „anderen“, den Misfits, enden im Kampf, bestenfalls. Meistens aber im Nichts verpuffend, irgendwie verstörend, und das bleibt. Ein Stück Zwischenton. Undine geht doch nicht. Marijke Gerwin
Die nächsten Aufführungen von „Nur einmal komm!“: 30. Oktober, 11. und 19. November um 19.30 Uhr im Großen Haus des Oldenburgischen StaatstheatersDie nächsten Aufführungen: 30. Oktober, 11. und 19. November um 19.30 Uhr im Großen Haus des Oldenburgischen Staatstheaters.
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