: Fire Next Time
„Von Benin nach Baltimore“: eine fulminante Geschichte Afroamerikas ■ Von Katja Lüthge
Mit Von Benin nach Baltimore. Die Geschichte der African Americans ist nach fast 30 Jahren erstmals wieder eine Geschichte der Afro-amerikaner erschienen, die sich an ein deutsches Publikum wendet. Der Hamburger Geschichtsprofessor Norbert Finzsch und seine US-amerikanischen Kollegen James O. und Lois E. Horton haben ein allgemein verständliches Werk vorgelegt, das die Geschichte von Afroamerikanern als integralen Bestandteil der nordamerikanischen Historie und Kultur sichtbar macht. In der Verbindung von sozial-, struktur- und kulturgeschichtlichen Methoden sowie der Schilderung einzelner Biografien folgt die Erzählung den Spuren der schwarzen Amerikaner: von den Sklavenmärkten im Afrika des 16. Jahrhunderts bis zum Hip-Hop im ausgehenden 20. Jahrhundert.
Dank des fröhlich-planvollen Methodeneklektizismus entfaltet sich ein Tableau, auf dem neben der Brutalität und den Zwängen, die den Rassismus und das Sklavereisystem kennzeichnen, immer auch die Handlungsmöglichkeiten der Protagonisten gezeigt werden. Von Benin nach Baltimore macht deutlich, dass es vor allem die Afroamerikaner selbst waren und sind, die für die Befreiung aus der Sklaverei und ihre Emanzipation gekämpft haben. Die vielfältigen Widerstandsformen, an denen sie als freie Schwarze oder Sklaven teil hatten, entreißen sie der Wahrnehmung als geschichtslose Opfer.
Die ersten afrikanischen Sklaven wurden 1619 auf nordamerikanischen Boden verbracht. Bis zur offiziellen Beendigung der Sklaverei im Jahr 1865 folgten ihnen Millionen von Afrikanern, die, sofern sie die Tortur der Mittelpassage überlebten, überwiegend auf die großen Plantagen im Süden verkauft wurden. Schon im 17. Jahrhundert entstanden aber auch, vorwiegend in den Städten des Nordens, mannigfache Zusammenschlüsse von freien Schwarzen, die für Bildung und Bürgerrechte stritten. Das Verbot der Sklaverei indes bedeutete für die Mehrheit im Süden keineswegs Freiheit: als sogenannte sharecroppers verblieben sie mangels anderer Möglichkeiten zumeist auf den Plantagen ihrer ehemaligen Besitzer. Mit Lynchmorden, politischen Attentaten und alltäglicher Gewalt gegen Afro-amerikaner versuchten Weiße um die Jahrhundertwende, ihre Suprematie zu restaurieren. Die Mehrheit der weißen Bevölkerung – auch im Norden – war von der „natürlichen Überlegenheit“ ihrer „Rasse“ überzeugt.
Dabei waren es gerade afroamerikanische Sportler und Künstler, die spätestens seit Beginn des Jahrhunderts die nordamerikanische Kultur mitprägten. Einen besonderen Skandal stellte in diesem Zusammenhang der Erfolg des Schwergewichtsboxers Jack Johnson dar, der 1908 als erster Schwarzer Weltmeister wurde und nacheinander mit mehreren weißen Frauen verheiratet war. Nachdem er seinen Titel 1910 gegen die „weiße Hoffnung“ Jim Jeffries erfolgreich verteidigte, kam es in verschiedenen Städten der USA zu gewalttätigen Ausschreitungen.
Stritt die frühe Bürgerrechtsbewegung schwerpunktmäßig für die Emanzipation, die Abschaffung der Segregation und Bildungszugang, rückte in den Sechzigern die katastrophale ökonomische Situation in den Vordergrund. Eine neue Qualität erfuhr der Kampf um Gleichheit 1966 durch die Black Power-Bewegung, die unter anderem vehement für das Recht auf bewaffnete Selbstverteidigung gegen Polizeiübergriffe eintrat. Spätestens nach der Ermordung von Martin Luther King und Robert Kennedy im Jahr 1968 schwand allgemein die Hoffnung auf eine friedliche Revolution.
Wenngleich sich mittlerweile eine solide schwarze Mittelschicht etablieren konnte, ist es überdeutlich, wie der jahrhundertelange Ausschluss von Afroamerikanern von Boden- und Kapitalbesitz sowie ihre fehlenden Beziehungen zu einflussreichen Gesellschaftsschichten Armut und Machtlosigkeit fortschreiben. Die schrittweise Abschaffung der „affirmative action“ im Zuge des reaktionären Backlash seit der Reagan-Bush-Ära in den 80er Jahren scheint dies zu sanktionieren. Das empfehlenswerte Buch der drei Historiker, das dem auch hierzulande wieder erstarkenden Rassismus entgegenwirken will, lässt den Lesern schon in der Einleitung keine Illusionen: „Die Lunte am Pulverfass ist sehr kurz.“
Norbert Finzsch, James O. Horton, Lois E. Horton, „Von Benin nach Baltimore. Die Geschichte der African Americans.“ Hamburger Edition, Hamburg 1999, 672 Seiten, 68 Mark
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen