: Vorfahrt für Kreuzfahrtschiffe
Richterliche Entscheidung: Emssperrwerk wird doch gebaut. Wirtschaftliche Interessen genießen Vorrang vor dem europäischen Naturschutzgebiet ■ Von Jürgen Voges
Hannover (taz) – „Damit hat die Natur an der Ems keine Chance mehr“, sagte gestern in Hannover NABU-Sprecher Ulrich Thüre, nachdem das Verwaltungsgericht Oldenburg einen weiteren Baustopp für das Emssperrwerk abgelehnt hatte. „Die Bagger sind schon unterwegs, das Sperrwerk wird weiter gebaut“, jubelte dagegen Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Glogowski, kaum dass die Meyer-Werft seiner Staatskanzlei den 67-seitigen Gerichtsbeschluss zugefaxt hatte.
Die Werft hat bereits Vorverträge über den Bau mehrerer Riesenkreuzfahrtschiffe abgeschlossen, die nur mit Hilfe des Sperrwerks die Ems in Richtung Nordsee passieren können. Das Verwaltungsgericht Oldenburg hat in seiner gestrigen Entscheidung den wirtschaftlichen Interessen Vorrang gegenüber den Belangen des Naturschutzes eingeräumt.
In ihrer großen Mehrzahl seien die ökologischen Kritikpunkte an dem Sperrwerk, mit denen BUND, NABU und WWF bei Gericht einen weiteren Baustopp beantragt hatten, „nicht stichhaltig“, entschied die erste Kammer des Verwaltungsgerichts. Gegenüber dem Erhalt eines durch die europäische FFH-Richtlinie geschützten Gebietes hätten der Küstenschutz und die Förderung der Region Papenburg Vorrang. Vor einem Jahr hatten die gleichen Richter noch einen Baustopp für das Sperrwerk verhängt. Durch die Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses, die die Bezirksregierung Weser-Ems im Juli vorgenommen habe, seien die vom Gericht im November 1998 geäußerten Bedenken jedoch ausgeräumt, heißt es in der Pressemitteilung aus Oldenburg.
Immerhin verlangt der Gerichtsbeschluss, dass die Ausgleichsmaßnahmen für die Zerstörung von Salzwiesen durch den Sperrwerksbau unverzüglich in Angriff genommen werden müssen. Den Vogelschutz sehen die Oldenburger durch das Sperrwerk nicht beeinträchtigt. In dem Gerichtsbeschluss wird außerdem die Klagebefugnis der Umweltverbände eingeschränkt. Diese seien auf Grund ihres in Niedersachsen bestehenden Verbandsklagerechtes nur befugt, die Verletzung von Umweltschutzgesichtspunkten zu rügen. Immerhin haben die Oldenburger Richter das Verwirrspiel von Land und Genehmigungsbehörde um den Hauptzweck des Bauwerkes nicht mitgemacht. Obwohl die Sperrwerksidee auf dem Gelände der Meyer-Werft geboren wurde, galt nach dem Planfeststellungsbeschluss der Küstenschutz als Hauptzweck des Bauwerkes. Diese Gewichtung erschien den Verwaltungsrichtern als „fehlerhaft“. Die Kosten des Bauwerks würden bei weitem die Kosten einer Erhöhung der Emsdeiche übersteigen, die den Küstenschutz auch gewährleisten kann.
Die Umweltverbände wollen die Gerichtsentscheidung zunächst in aller Ruhe prüfen. Ob sie überhaupt beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg die Zulassung einer Beschwerde gegen den Beschluss beantragen, ist nach Angaben von NABU-Sprecher Thüre „noch nicht sicher“. Beim OVG dürften die Chancen der Verbände eher noch schlechter stehen. Über sechs weitere Anträge auf einen Baustopp will das Verwaltungsgericht Lüneburg in den kommenden Tagen entscheiden. Aller Voraussicht nach werden sie ebenfalls abgelehnt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen