: Dosierte Beschallung
■ Im Waldkrankenhaus Spandau wird Frühgeborenen regelmäßig Musik vorgespielt. Ihre Atmung wird dadurch ruhiger
Ganz klein sind die Lautsprecher, die direkt mit den CD-Spielern verkabelt sind, sonst würden sie nämlich nicht in die Inkubatoren passen. Früher nannte man so was einfach Brutkästen, und eben die werden in der Frühgeborenenstation im Waldkrankenhaus Spandau beschallt. Auf den Geräten liegen CDs wie „Mozart für Babys“ oder George Winstons „Summer“. Es ist eine Frage der Zeit, bis Kinderkrankenschwestern DJanes genannt werden.
Das Krankenhaus hat gute Erfahrungen mit der Musik gemacht und festgestellt, dass die Säuglinge offenbar Stress abbauen, wenn sie in der richtigen Dosierung beschallt werden: Ihre Atmung wird ruhiger, der Pulsschlag wird langsamer, ihr Kreislauf stabilisiert sich, und sie vertragen ihre Nahrung besser. „Die Atmung wird bei einigen Kindern so stabil, dass sie früher vom Respirator wegkommen“, erklärt Prof. Dr. Harald Schachinger, Chefarzt auf der Station für Kinderheilkunde.
Was er auf seiner Station betreibt, heißt in Fachkreisen rezeptive Musiktherapie – rezeptiv, weil die Patienten nicht selbst Musik machen, sondern zuhören. Allerdings wird die Musiktherapie hier nicht gesondert als solche verkauft: „Es hat sich einfach über die Jahre eingespielt, dass wir das so machen“, erklärt Schachinger.
Schachinger ist selbst auch Musiker. Mit achtzehn Jahren fing er mit dem Cello an. Heute gibt es nicht eine Wand in seinem Büro, an der keine Fotos von Streichinstrumenten hängen. Irgendeinen Zusammenhang müsse es geben zwischen Musik und Medizin, sonst würden nicht ausgerechnet so viele Ärzte ein Instrument spielen: „Vielleicht liegt das daran, dass Musiker und Ärzte Dinge zunächst analysieren und auseinandernehmen, um sie dann wieder zu einem harmonischen Ganzen zusammenzusetzen.“
Manchmal verbindet der Chefarzt beides auch ganz praktisch: Dann spielt er in der Station selbst ein paar Stücke auf dem Cello. „Die Angehörigen empfinden die Atmosphäre dann als familiär“, so Schachinger, „das nimmt der Medizin etwas von ihrer Schärfe.“ Dafür sind die Eltern dankbar, denn aus der Neonatologie, der Station für Frühgeborene, sind die Apparate nicht wegzudenken. Kinder, die nach 30 oder nur 28 Wochen geboren wurden, müssen manchmal sechs bis zehn Wochen hier bleiben.
Die Musikeinspielungen im Inkubator helfen, für sie eine vertraute Atmosphäre zu schaffen: Schachinger empfiehlt deshalb, dass die Eltern die Musik ins Krankenhaus mitbringen, die die Eltern schon während der Schwangerschaft gehört haben, oder regt sie an, auf Kassetten selbst Geschichten zu erzählen.
Dass die Frühchen Musik und Stimme wieder erkennen, scheint nahe liegend, schließlich bildet sich beim Embryo der Gehörsinn vor allen anderen aus. Wenn die Eltern keine Aufnahmen mitbringen, sucht das Personal aus. Mozart und Vivaldi, das hat der Chefarzt festgestellt, tun dem Gemüt gut, überhaupt Barockes. Auch in den Kreißsälen werden die CD-Spieler regelmäßig angeknipst.
Freilich kann die Musik persönliche Zuwendung nicht ersetzen. Schachinger: „Wir legen nicht einfach den Schalter um und gehen weg.“ Am besten sei es, wenn die Eltern selbst kämen und den Kindern etwas erzählten oder vorsummten. Dabei erinnert sich Schachinger an Zeiten, als Eltern in den ersten Wochen auf der Neonatologie nicht unbedingt erwünscht waren.
Inzwischen werden die Eltern regelrecht ermuntert, sich schon im Krankenhaus viel mit ihrem Kind zu beschäftigen, und Musik kann dabei ein Ausgangspunkt sein. Beispielsweise hat die Station Wiegen mit einem Klangkörper angeschafft: An der Unterseite verlaufen Saiten, die so gestimmt sind, dass sie immer einen harmonischen Akkord ergeben. Die Eltern können so ganz leicht für ihr Kind musizieren.
Markus Pohl, ebenfalls Cellist, hat in der Station seine Diplomarbeit über Musiktherapie geschrieben, nachdem er Schachinger beim Bogenmacher kennen gelernt hatte. Pohl betont, wie wichtig es ist, die Eltern von Frühgeborenen einzubinden: „Die ersten Wochen sind eine harte Phase, die oft unerwartet eintrifft. Über die Musik kommen die Eltern wieder zu ihren Kindern.“
Martin Kaluza
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