: Rehabilitiert und kaltgestellt
Der Vorwurf gegen Polizeidirektor Otto Dreksler, Mitglied der Scientology-Sekte zu sein, ist längst fallen gelassen worden. Ein Jahr später aber liegt vieles noch im Dunkeln ■ Von Plutonia Plarre
Wenn Polizeidirektor Otto Dreksler in der Landespolizeischule Spandau aus seinem Dienstzimmer blickt, liegt vor ihm eine Idylle. Das Gras in dem Park mit seinen hohen Bäumen ist mit leuchtendem Laub bedeckt, das leise im Herbstwind raschelt. Eichelhäher hüpfen von Ast zu Ast. Statt Martinshorn ist das Klopfen von Buntspechten zu hören. „Von so etwas habe ich immer geträumt“, sagt der 54-jährige Polizeiobere ironisch. Die Wahrheit ist: Der vom Verfassungsschutz zu Unrecht als Scientologe bezichtigte und später rehabilitierte Polizeidirektor ist aus dem Zentrum der Macht vom Polizeipräsidium am Platz der Luftbrücke an den Stadtrand abgeschoben worden. Drei goldene Sternen auf den Schulterklappen und ein CDU-Parteibuch in der Tasche, befand er sich auf dem Weg zum Höhepunkt seiner Karriere.
Er war kurz vor der Beförderung als im Frühjahr 1998 der jähe Absturz kam. Ein Anonymus hatte in jenem Jahr am 20. März in einem an Innenverwaltung, Polizeipräsidenten, Gesamtpersonalrat und BZ adressierten Brief die Behauptung aufgestellt, Dreksler gehöre seit drei Jahren zum Führungskader der Psychosekte Scientology. Dieses Schreiben und die Aussage eines 77-jährigen V-Mannes namens „Junior“, ein früherer informeller Mitarbeiter der Stasi, genügten dem Verfassungsschutz, um Dreksler am 31.März 1998 seines Postens als Leiter des Lagezentrums zu entheben. Der Staatsanwalt durchsuchte Wohnung und Dienstzimmer von Dreksler. Gefunden wurde nichts, was eine Verbindung zur Sekte hätte bestätigen können.
Drei Monate später, am 21. Juli 1998, räumte der damalige Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) ein, die Verdächtigungen gegen den Poliziedirektor seien haltlos. Er wurde rehabilitiert. Am selben Tag konnte er sich seinen vierten Stern abholen.
Die Innenverwaltung verwehrt den Parlamentariern seither jeden Einblick in die Originalakten des Verfassungsschutzes. Trotzdem konnte Anfang Oktober das ARD-Magazin Kontraste Unterlagen veröffentlichen, die belegten, dass der V-Mann „Junior“ Dreksler im Frühjahr 98 auf einem vorgelegten Foto nicht eindeutig als Mitglied der Scientologen identifiziert hatte. Das Dreksler belastende Behördenzeugnis stellte der Verfassungsschutz dennoch aus.
Nach seiner Rehabilitierung wurde Dreksler wieder Leiter des Lagezentrums. Aber das Verhältnis zwischen ihm und seinen Kollegen war seit dem Skandal zerrüttet und von Misstrauen geprägt. Dreksler zog die Konsequenzen: Vor kurzem bat er um seine Versetzung auf die vakante Stelle des Referatsleiters an der Landespolizeischule.
Ausgestanden ist die Sache für Dreksler damit nicht. Vor dem Zivilgericht hat er das Land Berlin auf 70.000 Mark Schadensersatz verklagt. Und auch politisch will der Polizeiobere weiterkämpfen, bis der Verfassungsschutz alle Karten auf den Tisch gelegt hat: „Ich lasse nicht locker. Es geht nicht an, dass das Landesamt im luftleeren Raum operiert und weder von den Gerichten noch vom Parlament nicht in seiner Gänze kontrolliert werden kann, weil die Innenverwaltung entscheidet, welche Akten vorgelegt werden und welche nicht.“
Der für die Aufsicht des Verfassungsschutzes zuständige Innenstaatssekretär Kuno Böse (CDU) hat inzwischen zumindest eingestanden, dass der Verfassungsschutz „handwerkliche Fehler“ gemacht habe. Doch mit dieser Erklärung will sich Renate Künast nicht zufrieden geben. Sie ist davon überzeugt, dass Böse „einen ungeheuren“ Druck auf die Behörde gemacht hat, damit der Verfassungsschutz den Nachweis der Scientology-Mitgliedschaft Drekslers erbringt. In der damaligen Hochphase der Scientology-Hysterie habe sich Böse im Kampf gegen die Psychosekte bundesweit einen Namen machen wollen. Berlin hatte seinerzeit den Vorsitz in der Arbeitsgruppe Scientology der Innenminister inne.
In CDU-Kreisen wurde gemunkelt, Böse habe bei der Aktion nur seine eigene Karriere im Blick gehabt: Wenn es ihm gelungen wäre, einen Polizeidirektor aus der Führungsetage als Scientology-Mitglied zu enttarnen, hätte er weit über die Stadtgrenzen hinaus beweisen können, dass er zu Höherem befähigt sei. Dass Böse im November 1998 gern die Nachfolge des nach Brandenburg abgewanderten Innensenators Schönbohm angetreten hätte, ist ein offenes Geheimnis.
Doch der Dreksler-Skandal, für den er nach Ansicht der Opposition zusammen mit Verfassungsschutzchef Eduard Vermander der Hauptverantvortliche ist, haftet an ihm, wie ein altes Kaugummi unter der Schuhsole. Inzwischen ist sogar fraglich, ob er sich in der kommenden Legislaturperiode auf dem Stuhl des Staatssekretärs überhaupt noch halten kann. Und Aufstiegschancen in der Berliner CDU räumen ihm die wenigsten Parteigenossen ein. Presseberichten zufolge ist Böse auf den Sprung. Die Frage ist nur, wohin?
Renate Künast ist davon überzeugt, dass Dreksler nicht nur gut in Böses Karriereplan passte. Der Polizist sollte weggemobbt werden, „weil ihn viele nicht leiden konnten“. Eine Theorie, die von Böses Umfeld entschieden dementiert wird: Der Staatssekretär schätze den nun leitenden Polizeidirektor wegen dessen großer fachlichen Qualitäten, heißt es. Und der Verfassungsschutz sei bei der Behandlung des Falls Dreksler strickt nach der Devise „lege artes“ vorgegangen.
Einiges spricht dafür, dass Dreksler sein christdemokratisches Parteibuch mehr geschadet als genützt hat. Böse und Dreksler, die im Schlepptau des früheren Innensenators Dieter Heckelmann (CDU) die politische Bühne betraten, wurden 1995 in Parteikreisen als Nachfolger für den nach Mecklenburg-Vorpommern abgewanderten Innenstaatssekretär Armin Jäger gehandelt. Dreksler wird als Hardliner beschrieben, der in seinem Wohnbezirk Zehlendorf in der Bezirksverordnetenversammlung saß und im CDU-Arbeitskreis für Sicherheit zahlreiche Veranstaltungen zu Themen wie „Ausländerkriminalität“ durchführte. Bei den gutbesuchten Abenden ließen sich Polizeikollegen und Parteifreunde bis hin zum damalige CDU-Innenminister Manfred Kanther sehen.
Drekslers polizeilicher Aufstieg und sein politischer Erfolg kam nicht jedermann in der CDU zupass. Als der Scientolgy-Verdacht aufkam rückten die meisten seiner politischen Freunde von ihm ab. Nur die beiden Abgeordneten Rüdiger Jakesch und Harald Grieger hielten zu ihm.
Auch von der Polizei bekam Dreksler keine Rückendeckung. Polizeipräsident Saberschinsky hat zwar mehrfach beim Verfassungsschutzchef Eduard Vermander nachgehakt, ob dieser ungeheuerliche Verdacht wirklich zutreffe. Aber offensiv für Dreksler in die Bresche gesprungen ist er nicht. Renate Künast hätte sich mehr Engagement gewünscht: „Der Polizeipräsident hätte sofort alle belastenden Unterlagen anfordern müssen. Dann wäre ihm aufgefallen, dass an der Sache nichts dran ist.“ Warum sich die Grüne so engagiert für den Polizeidirektor einsetzt, hat einen einfachen Grund: „Man kann nicht zulassen, dass ein Einzeiler des Verfassungssschutzes ausreicht, um eine Menschen beruflich und privat zu zerstören.“
Dass es auch anders geht, hat der Fall eines Berliner Verwaltungsrichters gezeigt, der im Frühsommer 1998 als Scientology-Mitglied bezichtigt worden war. Empörte Richterkollegen eröffneten ein Trommelfeuer auf den Verfassungsschutz, bis der Fall noch einmal überprüft wurde. Das Ergebnis: Die Aussage des V-Mannes erwies sich als haltlos. Der Fall des Verwaltungsrichters war im Übrigen auch der Grund dafür, warum eine mit Innenverwaltung- und Verfassungsschutzmitarbeitern besetzte Kommission den Fall Dreksler im Frühsommer 1998 eingehend überprüfte. Das Ergebnis ist bekannt.
Solidarität von seinen Kollegen wurde Dreksler nicht zuteil. Bei seinen 500 Untergebenen in der Funkbetriebszentrale war er verhasst, weil er den 12-Stunden-Schichtdienst zugunsten einer bedarfsorientierten Arbeitszeit abschaffen wollte und 110 Beamte aus dem Innendienst auf Streife versetzte. Dafür erntete er viele böse Reaktionen, bis hin zu einem anonymen Schreiben, auf dem die Bombe mit brennender Lunte glücklicherweise nur gemalt war. Kollegen seines Ranges lassen kein gutes Haar an Dreksler. Er sei überheblich, polarisiere und lasse sich nicht packen.
Nach seiner Rehabilitation manövrierte sich Dreksler vollends in die Außenseiterrolle. Ein wesentlicher Grund dafür war, dass er nicht bereit war, Auskunft über eine mysteriöse Personalliste zu geben, die bei der Durchsuchung seiner Wohnung im Frühjahr 1998 gefunden worden war. Darin hatte Dreksler akribisch die Namen hoher Polizeibeamter nebst deren Dienstfunktion und Parteizugehörigkeit notiert. Staatssekretär Böse leitete die Angelegenheit am 20. Juli 1998, einen Tag vor der Rehabilitierung Drekslers, an den Generalsstaatsanwalt beim Landgericht weiter. Der sollte prüfen, ob gegen Dreksler ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Datenschutzgesetz eingeleitet werden könne.
Die Staatsanwaltschaft lehnte ab.
Dreksler selbst hatte vier Wochen zuvor in einer 2-seitigen Pressemittteilung erklärt, er habe die Liste sowohl für seine politische wie dienstliche Arbeit benötigt.
Dass der 4-Sterne-Polizist mit seiner kühnen Fönfrisur im Polizeipräsidium nicht allzu viele Freunde hat, mag auch an seinen rigorosen Law-and-Order-Vorstellungen liegen. Ebenso wie sein damaliger Dienstherr Heckelmann verschrieb sich Dreksler dem Kampf gegen Hütchenspieler am Kurfürstendamm und illegale Händler am Brandenburger Tor. Und mit seinem „konsequenten“ Vorgehen als Chef der 1. Bereitschaftspolizei gegen Vermummte in Demomstrationzügen konterkarierte er jegliche Deeskalationsbestrebungen.
In einer großen Nachbesprechung der diesjährigen Krawalle zum 1. Mai in Kreuzberg kam es zwischen Dreksler und dem Leiter der Direktion 5, Klaus Karau (SPD), zu einem Eklat. Ein Zugführer hatte einen Schlagstockeinsatz gegen Demonstranten befohlen. Die Lage eskalierte, es kam zu einer Massenschlägerei.
Karau soll den nicht anwesenden Zugführer deshalb aufs Heftigste beschimpft und beleidigt haben. Dreksler ergriff für den Zugführer Partei. Er verbat sich barsch den beleidigenden Ton. Beide sollen sich daraufhin auf unsägliche Weise angebrüllt haben. Offenbar fehlte nicht viel, und es wäre im Führungsstab zu einer Prügelei gekommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen