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Vielleicht ist es die Angst vorm Tod

■  Im Jahr der Senioren gibt es zwar viele Kongresse zum Thema „Golden Oldie“ – aber Fernsehen und Werbung tun sich schwer mit dem lukrativen Markt der Über-50-Jährigen

Die UNO hat 1999 zum „Internationalen Jahr der Senioren“ ausgerufen. Und siehe da, auch die Medienmacher interessieren sich plötzlich für eine Altersgruppe, die ihnen oft irrelevant erschien. Dabei nutzen ältere Menschen die Medien nicht grundsätzlich anders als die Jüngeren.

Mit dieser Erkenntnis überraschte der Westdeutsche Rundfunk (WDR) auf dem internationalen Kongress „Überhört und übersehen? Ältere in Hörfunk und Fernsehen“, der heute in Köln zu Ende geht. Nur einen Unterschied gibt es: Senioren gucken viel mehr fern als Jüngere – durchschnittlich vier Stunden täglich. Mit Sendungen, die sie direkt betrifft, tut sich das Fernsehen allerdings weiterhin schwer. Bei der Untersuchung einer TV-Programmwoche wurde ein Anteil von gerade einmal einem Prozent gefunden.

Da werden Menschen immer älter, haben jede Menge Zeit zum Fernsehen – und doch sind sie nach wie vor unterrepräsentiert, wie Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) in Köln beklagte. Wenn Senioren überhaupt einmal vorkämen, würden sie immer in Stereotypen dargestellt. Obwohl die ältere Bevölkerung genauso vielfältig sei wie der Rest der Gesellschaft, bekäme man nur „alte pflegebedürftige Greise“ zu sehen – oder gleich das andere Extrem: „dynamische, materiell gut gestellte Alte, die ihr zweites Leben genießen“. Wobei natürlich vor allem letztere nicht nur TV-Fiktion und daher auch für die Werbeindustrie nicht uninteressant sind.

Zielgruppe „14 bis 49“: ein teures Missverständnis

Das hat Jean-Paul Tréguer schon vor zehn Jahren erkannt. Der Franzose gründete die einzige Werbeagentur Europas, die sich auf Senioren spezialisiert hat. Seine „Senioragency“ wirft einen Gewinn von jährlich über drei Millionen Mark ab. Doch Tréguer belässt es nicht beim Geldzählen. Unermüdlich eröffnet er neue Filialen, und reist als „Evangelist des Senioren-Marketings“ mit seiner frohen Botschaft vom Leben über 50 durch die Lande.

Auf dem Münchener „Werbegipfel“ vor einer Woche fand er denn auch ebenso wissbegierige wie vorsichtige Schüler: „Wir wollen versuchen, dieser Zielgruppe etwas näher zu kommen“, umschrieb etwa Andreas Knaut das Ziel. Als Chefredakteur der Fachzeitschrift Kontakter weiß er, wie leicht die skeptischen Werbeprofis hierzulande zusammenzukken, wenn Monsieur Tréguer Dinge sagt wie: „Let's make this target a sexy one.“ Das verwirrt, denn vor allem im Fernsehen gelten noch die alten Grenzen von „14 bis 49“.

„Ein teures Missverständnis“, findet der Düsseldorfer Experte Bernd Michael, „denn damit liegt eine Menge Kaufkraft brach.“ Die „Golden Oldies“ verfügen über 60 Prozent der gesamten Vermögensbestände Deutschlands. Warum also investierte die Wirtschaft auch 1998 wieder 95 Prozent ihres Werbeetats, um die weniger wohlhabende (und weniger unkritische) Jugend zu umgarnen?

„Es ist die Angst vorm Tod“, vermutet Tréguer, „die Menschen wollen sich nicht mit dem Älterwerden beschäftigen.“ Schon gar nicht die jungen Fuzzies in den Werbeagenturen, die einen geradezu grotesken Jugendkult betrieben. Was von einer aktuellen Studie des Taunussteiner IFAK-Instituts bestätigt wird: Die befragten Werbeexperten sehen das Leben älterer Menschen „durchweg in negativem Licht, reduziert auf einen monotonen Alltag und monotone Freizeitaktivitäten.“ Weil aber auch Menschen über 50 durchaus gerne shoppen, wird das Jungvolk in den Agenturen nicht anders können, als Konzepte für die wachsende Schar der reichen Alten zu entwickeln. Das bei der Zielgruppe beliebte „Forsthaus Falkenau“ wird wieder gefragt, die Jagdsaison eröffnet, der „Musikantenstadl“ das Eldorado der Goldzahngräber werden. Das Argument, die Senioren seien nur schwer von neuen Produkten zu überzeugen, zieht nicht mehr. „Darauf muss sich das Marketing eben einstellen“, sagt Tréguer und kann auf seine erfolgreichen Kampagnen in Frankreich verweisen.

Zielgruppe „50 plus“: ein integraler Bestandteil

Um gezielt Senioren anzusprechen, sind Tréguers Spots länger als üblich, die Kameraführung ruhiger, die Schauspieler älter. Diese seniorengemäße Werbung stieß allerdings in München auf wenig Gegenliebe. Der Werbeprofi Bernd Michael, inzwischen selbst ein Vertreter der neu entdeckten Zielgruppe, protestierte entsetzt: „Ich will als integraler Bestandteil der Gesellschaft behandelt werden!“ Weshalb er auch nichts von dem Vorschlag der Studienmacher hält, die Werbeleute sollten in einen „Altersanzug“ schlüpfen, um sich das Leben über 50 besser vorstellen zu können. Der Anzug, der beispielsweise bei Ford oder bei der Konzeption von Supermärkten eingesetzt wird, hat Gewichte an Armen und Beinen, steife Handschuhe, sowie eine Brille, die den grauen Star simuliert.

Ob nun mit bewusst seniorengerechten oder doch subtileren Mitteln gearbeitet werden sollte, darüber werden noch viele Agenturen grübeln. Über eines waren sich am Ende des Werbegipfels alle einig: Das Dogma „14 bis 49“ wird fallen, die Senioren sind angesagt. Der Trend ist so eindeutig, dass Michael befürchtet: „Nächstes Jahr haben wir kein Thema mehr, weil sich schon alle danach richten.“ Und auch zwischen den Rentner-Clips der Werbepausen werden dann vielleicht mehr Sendungen laufen, die die Senioren ernst nehmen. Lukas Wallraff

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