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Das fleißige Partei-Hänschen

Hans Modrow, der Ehrenvorsitzende der PDS, sitzt seit Juni im Europaparlament. Der treue Parteisoldat hat sich viel vorgenommen – sogar Englisch lernen  ■   Von Daniela Weingärtner

Straßburg (taz) – Die Stimme am Telefon klang, als würde nicht allzuoft von ihr Gebrauch gemacht: „Herr Modrow ist nicht in Berlin.“ Bloß kein Wort zu viel. Schon gar nicht gegenüber einer Journalistin aus dem Westen, die wortreich erklärt, dass sie einen Termin mit Hans Modrow in Straßburg bestätigt haben will. „Herr Modrow pflegt seine Termine einzuhalten.“ Aufgelegt.

So also klingt Annemarie Modrow, geborene Straubing, bis zur Pensionierung fünfzehn Jahre lang Lehrerin an der Bezirksparteischule der SED. So ein Job prägt wahrscheinlich die Haltung gegenüber dem Klassenfeind. Ob ihr Mann sie schon mal mitgenommen hat nach Straßburg?

Vor dem Fraktionssaal der „Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke“ im nagelneuen Straßburger Prachtpalast blättert eine junge Italienerin in einer Broschüre. „Sie suchen Hans?“ Sie zeigt auf eine der mittleren Reihen. Dort sitzt zwischen bunt gekleideten jungen Menschen ein älterer Herr im grauen Anzug. Konzentriert vornübergebeugt, lauscht er der Übersetzerstimme im Kopfhörer. Ohne Pause fliegt sein Stift übers Papier.

Der Mann, der bei der Europawahl am 13. Juni als einer von sechs PDS-Abgeordneten ins Straßburger Parlament gewählt wurde, war dreißig Jahre lang einer der Mächtigen in der DDR. 1961 wurde er mit 33 Jahren Erster Sekretär der Kreisleitung Berlin-Köpenick, 1967 Mitglied des ZK der SED, 1971 Leiter der Abteilung Agitation, zwei Jahre später Chef der Bezirksleitung Dresden – Stationen einer steilen Parteikarriere. Gemeinsam mit Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer brachte Modrow Ende der 80er-Jahre einen Hauch von Glasnost nach Dresden, zu einer Zeit, als in Berlin noch die alten Betonköpfe das Sagen hatten. Nach Honeckers Sturz wurde Modrow im November 1998 Vollmitglied des Politbüros und am 13. November von der Volkskammer einstimmig zum Vorsitzenden des Ministerrats gewählt. Nach den Neuwahlen im März übergab er die Regierungsgeschäfte an Lothar de Maizière und zog zunächst als Delegierter, im Dezember 1990 dann als gewählter Abgeordneter in den Deutschen Bundestag ein.

In den vergangenen vier Jahren hat man wenig von Hans Modrow gehört. Er wurde wegen Wahlfälschung angeklagt, der BGH kassierte das „außerordentlich milde“ Urteil, am Ende kamen zehn Monate auf Bewährung heraus, die Modrow tief verbitterten. Er zog sich an den privaten Schreibtisch zurück, schrieb Bücher mit trotzigen Titeln: „Unser Zeichen war die Sonne“ und „Ich wollte ein neues Deutschland“. Jetzt ist der 71-Jährige zurück in der Politik, zurück in den vertrauten Ritualen.

Schon immer hat Modrow akribisch mitgeschrieben, so kann er sich am besten konzentrieren, hinterher das Wesentliche in Worte zu fassen. Gerade beschreibt die junge finnische Ministerin auf dem Podium selbstironisch und unterhaltsam das Dilemma, dem sich die Nordische Linke im Spannungsfeld zwischen Regierungsverantwortung in der finnischen Regenbogenkoalition und linken Idealen ausgesetzt sieht. Als sie geendet hat, fährt Hans Modrows Arm nach oben: „In Deutschland steckt Rot-Grün nach Ende der EU-Präsidentschaft in einer dicken Krise. Könnte es der Regenbogenallianz nach Ablauf ihrer EU-Amtszeit genauso gehen? Wird sich die finnische Präsidentschaft auf Russland und die Ukraine zubewegen? Welche Strukturen streben Sie an für einen Sozialismus im 21. Jahrhundert?“

Der Gegensatz zwischen der schwarz gekleideten aparten Person mit blondem Bubikopf, die die Kunst beherrscht, kurzweilig und gleichzeitig informativ zu sprechen, und dem Fragesteller, der in hölzernem Schriftdeutsch aus einem inneren Buch abzulesen scheint, könnte nicht größer sein. Jetzt melden sich auch andere zu Wort. Nach der ausgedehnten Fragerunde bleibt kaum noch Zeit für Antworten. Die für Hans Modrow sind irgendwo in der charmant vorgetragenen Schlusserklärung verpackt, verbunden mit einer Einladung nach Helsinki. Dennoch wirkt der Mann am Ende der Veranstaltung wie ein Arbeiter, der mit seinem Tagwerk zufrieden ist. Wieso eigentlich?

Hans Modrow hat Zeiten erlebt, in denen von seiner Entscheidung das Schicksal von 17 Millionen DDR-Bürgern abhing. Hier in Straßburg muss er ganz allein zurechtkommen, einer von vielen Einzelkämpfern in der zusammengewürfelten Fraktion aus radikalen Umweltschützern, orthodoxen Kommunisten, Anhängern der Friedensbewegung. Ein winziges Rädchen in einem ohnehin schwachen Getriebe. Wenige der im langen DDR-Politikerleben erworbenen Fertigkeiten sind hier hilfreich.

Fremdsprachen? Nicht einmal der alte Weggenosse Armando Cossutta von der Kommunistischen Partei Italiens kann Russisch. Wenn die beiden ein paar Worte wechseln wollen, muss PDS-Kollege Helmuth Markov den Dolmetscher spielen. „Ich will versuchen, in Richtung Englisch zu gehen“, sagt Modrow.

Den Sitz im Europaparlament begreift Modrow weder als Abstellgleis noch als Erfüllung eines Lebenstraums. Es ist schlicht der Platz, auf den die Partei ihn gestellt hat. „Ich bin nicht mit einem Traum hierhergegangen, sondern mit beachtlichem Anspruch. Man muss sich des eingeschränkten Wirkungsfelds bewusst sein, aber sich nicht damit abfinden. Was hier beginnt, ist ein Marathonlauf – wer ihn mit Tempo hundert angeht, wird bald aufgeben.“

Fragen nach persönlichen Wünschen, nach dem Lebensgefühl in fremden Städten, zwischen Kollegen, deren Sprache man nicht versteht, prallen an den Antworten des Mannes ab, der Parteidisziplin höher zu schätzen gelernt hat als Individualität. Aber es gibt kurze Momente, da blitzt der Mensch Modrow durch. Der steht im südländischen Sprachengewirr an der Abgeordnetenbar und ruft beharrlich „Kaffee bitte“, bis endlich das Gewünschte vor ihm steht. Der sagt zur Arbeit im Straßburger Glaspalast: „Ich fühle mich hier ziemlich verloren.“

Dieser Mensch Modrow besitzt ein charmantes Lächeln und einen Schuss Ironie. Beides entschlüpft ihm gelegentlich, wird aber rasch wieder eingefangen. Es passt nicht ins Bild des fleißigen Parteiarbeiters, dem er entsprechen will. Deshalb lenkt er das Gespräch schnell wieder auf die politische Arbeit. Er sitzt im Ausschuss für Entwicklung und Zusammenarbeit. „Das ist ein Feld, wo ich meinen Sachverstand einbringen kann. Ich bin mit Kuba verbunden, kenne Fidel Castro. Vergangenes Jahr habe ich Chile besucht.“ Natürlich hat er in Santiago bei Margot Honecker vorbeigeschaut. Da ist es wieder, das amüsierte Lächeln. „Sie weiß genau Bescheid, bezieht die UZ und liest jeden Tag das Neue Deutschland.“ Dann ist der Augenblick privater Erinnerung vorbei, und es spricht der ehemalige Parteisekretär vom Besuch bei der Witwe des ehemaligen Parteivorsitzenden.

Für die nächsten fünf Jahre hat sich Hans Modrow viel vorgenommen. Dem Europa der Arbeitslosen, der sozial Schwachen will er in Brüssel und Straßburg eine Stimme geben. Die Linke, davon ist Modrow überzeugt, muss zu einer europäischen Kraft werden oder in Bedeutungslosigkeit zurückfallen. Das müsse auch den PDS-Wählern klargemacht werden. Wie hatte die finnische Ministerin von der Nordischen Grünen Linken bei der Fraktionssitzung gesagt? „Unsere Anhänger halten die Europäische Union für eine Konspiration der Kapitalisten.“ Ob Hans Modrow den arbeitslosen LPG-Bauern in Mecklenburg erklären kann, was er in Europa tut für sein Geld?

Er überlegt lange, und bei der Antwort lächelt er kein bisschen: „Das scheint mir fast unmöglich, den Wählern zu vermitteln, was ich hier in Straßburg mache.“

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