: Verhaltener Optimismus
Das Haifischbecken Multimediamarkt expandiert, aber in Maßen. In der Branche fehlt es an Nachwuchs und einer guten, einheitlichen Ausbildung ■ Von Christoph Rasch
Die Idee war einfach, preisverdächtig, und sie schuf bislang ein Dutzend Arbeitsplätze. Die Berliner Multimedia-Firma Novaville ist das Kind eines vom Bundeswirtschaftsministerium initiierten Gründerwettbewerbs. Mit dem Vorhaben, einen über Werbung finanzierten kostenlosen Internet-Zugang zu ermöglichen, wurde die Firma zu einer von zweihundert Preisträgern. Nun geht Novaville damit auf den Markt.
Förderinitiativen wie der Gründerwettbewerb böten gerade Neulingen im Haifischbecken der Informationstechnologie „eine sehr solide und sichere Grundlage“, sagt Novaville-Marketingleiter André Sonder. Staatlich subventionierte Schützenhilfe scheint gefragt, auch bei der Rekrutierung des Branchennachwuchses.
Denn „die Info-Wirtschaft leidet unter Fachkräftemangel“, konstatiert Siegmar Mosdorf, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, „dem deutschen IT-Arbeitsmarkt fehlten 75.000 qualifizierte Kräfte“. Mosdorf wünscht sich daher eine Verdopplung der heute 1.800 Firmen bis 2001. Und bis zum Jahr 2005 sollen gar 250.000 zusätzliche Fachkräfte ausgebildet werden.
„Dieser Bedarf ließe sich über die Bildungsangebote der Branche abdecken“, schätzt Lutz Goertz vom Deutschen Multimedia Verband (dmmv). So seien 1998 mehr als 9.000 IT-Kaufleute und Fachinformatiker ausgebildet worden. „Das Problem“, so Goertz, „ist jedoch eine fehlende einheitliche Regelung der Ausbildungswege.“
1998 stieg die Zahl der Beschäftigten in der Info-Branche um 23.000 auf 345.000. Diese Wachstumsrate, meint Werner Dostal vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, lasse eine Verdopplung der Beschäftigungszahlen in den nächsten zehn Jahren erwarten. Aber, so die Prognose einer von Dostal im April veröffentlichten Studie: Nur rund ein Drittel davon werden Informatik-Studenten sein. Grund: Es gibt zu wenig Absolventen, nur knapp 6.000 waren es 1998.
Das Gros der Stellen wird immer noch von Quereinsteigern besetzt, für die der Einstieg in die Branche auch eine berufliche Notlösung sei. Aus diesen Umsteigern, Langzeitarbeitslosen und IT-bewanderten Ingenieuren oder Physikern etwa, würden sich auch in Zukunft rund drei Viertel der Jobs rekrutieren, so Dostal. Unter der Uneinheitlichkeit der Ausbildung leide jedoch die Qualität.
So braucht die überhitzte Multimedia-Branche Unterstützung. Eine davon ist der von der Bundesregierung eingesetzte und seit zwei Jahren vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI) ausgerichtete Gründerwettbewerb Multimedia. Dutzende Firmengründungen mit mehr als fünfhundert neuen Arbeitsplätzen gingen in den vergangenen zwei Jahren daraus hervor. Der größte Teil dieser „StartUp“-Unternehmen schätzt die eigene wirtschaftliche Zukunft nach einer VDI-Umfrage als gut (29 Prozent) oder zufriedenstellend (43 Prozent) ein.
Verhaltener Optimismus. Die Zuwächse sind nicht so stark wie erwartet, bilanziert die Michel Medien Forschung (MMB). Im Auftrag der Bundesregierung hat sie den Multimedia-Markt untersucht. Fazit: Multimedia bleibt eine „expandierende Minibranche, in der noch immer nicht das große Geld verdient“ wird.
Bei der Kölner Firma Prokoda, einem der umsatzstärksten Vertreter der Branche und spezialisiert auf softwaregestützte Weiterbildung, sieht man dies eher nüchtern: „Diese Wachstumsschübe werden auf dem Arbeitsmarkt kaum spürbar sein“, sagt Prokoda-Sprecher Hans D. Körner, „weil anderswo in der Branche Stellen abgebaut werden.“ Auch das von Prokoda etwa durch Online-Lehrgänge unterstützte Training-on-the-Job diene in den Firmen dazu, Stellen einzusparen, so Körner.
Inzwischen hat sich die Quote arbeitsloser IT-Spezialisten im Westen auf dem Niveau von 1991 eingependelt (4,9 Prozent). Anders in den neuen Bundesländern: Hier sind es 15,2 Prozent.
Nach einer im Frühjahr in Baden-Württemberg durchgeführten Studie erwarten rund zwei Drittel der dort ansässigen 240 Firmen ein „starkes Wachstum“, eben so viele melden „Schwierigkeiten bei der Personalakquise“. Die MMB-Studie macht unter anderem „zu hohe Gehaltsvorstellungen“ der Bewerber als Grund für Probleme bei der Suche nach qualifizierten Fachkräften fest.
Noch häufiger fehle Spezialwissen, der große Überblick oder Schlüsselqualifikationen wie Teamfähigkeit oder Kreativität. Eine zukunftsfähige Ausbildung muss her, fordern die Experten.
Derzeit vergeben rund sechzig Schulen und Institute Weiterbildungszertifizierungen. „Allgemein anerkannte Berufsbilder gibt es kaum, bis auf Ausnahmen wie den „Medien-Designer“ in Berlin. Beim Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT) arbeitet man an einem standardisierten Ausbildungs-Etikett, um klar umrissene Berufsbilder zu etablieren. Der dmmv erprobt Ähnliches. „Die ausbildenden Institute werden nach unserem Standard geprüft“, sagt Goertz. Eine erste Befragung in den kommenden Wochen soll dieses Vorhaben einleiten. Auch das „Bündnis für Arbeit“ enthält ein koordiniertes Weiterbildungssystem. Dazu gehört die Modernisierung der Hochschulausbildung und die Einführung eines von IT-Unternehmen finanzierten Ausbildungsfonds.
Werner Dostal fordert als Fazit seiner Erhebung, die Teilung des Info-Arbeitsmarktes in eine „Zwei-Klassen-Branche“. Sie könnte aus top-ausgebildeten IT-Profis bestehen, deren Ausbildung standardisierten Qualitätssicherungen unterliegt, und einer „mittleren Schicht“ von Fachschulabsolventen für die Organisations- und Koordinationsaufgaben.
„Der Prozess der Etablierung fester Qualitätsmaßstäbe bei Aus- und Weiterbildung muss jetzt einsetzen“, so Dostal. „Gelingt dies nicht, kann die Branche auf Dauer ihre Aufgaben nicht kompetent erfüllen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen