: Letzte Klappe für Rot-Schwarz
Heute entscheidet die Berliner SPD über ein Auslaufmodell. Längst suchen die Strategen aller Parteien nach neuen Partnern. Jeder kann sich alles mit jedem vorstellen ■ Von Ralph Bollmann
Die Berliner Grünen kennen das Problem ihres Noch-Lieblingspartners SPD am besten – die Genossen taugen nicht mehr als Mehrheitsbeschaffer. Darum suchen die Grünen jetzt nach Auswegen. Am Wahlabend hatten sie die Schuld für ihr enttäuschendes Wahlergebnis noch einzig und allein auf die Parteifreunde geschoben. Inzwischen aber hat die Landespartei gemerkt, dass sie auch in Berlin Konsequenzen ziehen muss. Erstens: Sie muss mittelfristig in die Regierung, denn nur wenige Wähler finden Gefallen an einer immerwährenden Opposition, die mit viel Sachkompetenz wenig bewirkt. Und zweitens: Auf die SPD können die Grünen dabei nicht mehr bauen.
„Die Frage der Regierungsbildung“, sagt die grüne Fraktionschefin Renate Künast, „wird sich nach den nächsten Wahlen nicht mehr so stellen, wie sie sich dieses Mal gestellt hat.“ Mit CDU und PDS müsse ihre Partei „viel stärker in eine sachliche Diskussion einsteigen“. Die „ideologische Basis“ habe sich in allen Parteien zehn Jahre nach dem Fall der Mauer verändert, deshalb schließe sie „in alle Richtungen nichts aus“.
Im Klartext: Die Grünen wollen sich aus der babylonischen Gefangenschaft der SPD befreien, künftig sollen auch Bündnisse mit CDU oder PDS möglich sein. Die Koalition aus CDU und SPD, die die sozialdemokratische Parteispitze ihrer Basis heute Abend noch einmal als einzig mögliche Konstellation schmackhaft machen will, wird spätestens nach der nächsten Wahl in fünf Jahren nicht mehr ohne Alternative sein.
Dann steht der SPD eine Zerreißprobe bevor, auf die der aktuelle Konflikt um die Koalitionsfrage nur einen blassen Vorgeschmack gibt. An der Basis im Osten wie im Westen werden jene Stimmen immer lauter, die eine Öffnung gegenüber der PDS fordern. Schließlich macht ein Gang in die Opposition nur Sinn, wenn er sich mit der Perspektive auf andere Mehrheiten verknüpft. Eine CDU-Alleinregierung könne die SPD in Kauf nehmen, so ist an der Basis immer öfter zu hören, wenn die Partei „ab 2004 mit der PDS gute Konzepte umsetzen kann“.
Umgekehrt gibt es besonders in der Westberliner SPD, die sich noch immer an Ernst Reuters heroischem Widerstand gegen den Kommunismus erbaut, starke Widerstände gegen ein Bündnis mit den Sozialisten. Gegen die rot-rote Koalition in Schwerin zog der Berliner Fraktionschef Klaus Böger im vergangenen Jahr heftig zu Felde. Da galt ihm die PDS schlicht als „eine der größten Irritationen im deutschen Einigungsprozess“.
Wenn ihr der Wind kräftig ins Gesicht bläst, vermag aber auch die Berliner SPD-Spitze ihr Fähnchen schnell zu drehen. Böger, einer der vehementesten Verfechter der großen Koalition, ließ gestern vorsorglich verlauten, er werde sich auch bei einem Gang in die Opposition „nicht in den Schmollwinkel zurückziehen“. Das gelte „auch für das Amt des Fraktionsvorsitzenden“.
Dann müsste sich die CDU auf neue Brautschau begeben. Sollte es tatsächlich zu einem oppositionellen Dreiparteienbündnis auf der Linken kommen, stünde die Union im Regen. Freunde schwarz-grüner Gedankenspiele, wie der scheidende Kultursenator Peter Radunski (CDU), schließen ein Bündnis mit den Grünen für Berlin noch aus, und mit dem derzeitigen Unions-Personal können sich auch die meisten Grünen eine Zusammenarbeit nur schwer vorstellen. Aber die Fronten sind in Bewegung geraten – auch gegenüber der PDS. Ihr gegenüber habe die Union ihre „Verweigerungshaltung aufgegeben“, sagt CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky.
In diesem neuen Spiel wäre die SPD nur noch eine Partei wie jede andere. Zieht die CDU andere Optionen ernsthaft in Betracht, büßen die Sozialdemokraten ihre starke Stellung als Zünglein an der Waage ein. Auch wenn Fraktionschef Böger noch versucht, solche Gespenster zu verjagen: „Eine FDP-Rolle kommt für uns nicht in Frage.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen