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Mit Leidenschaft ins Jammertal

Die Berliner Sozialdemokraten haben auf ihrem Parteitag den Weg in die große Koalition freigemacht – und gleichzeitig die eigene Führungsspitze demontiert. Die Basis ließ erkennen, dass sie die eigene Regierungsarbeit auch in Zukunft sabotieren wird  ■   Von Ralph Bollmann

Fünf Worte genügten, und die Stimmung im Saal fiel merklich ab: „Das Wort hat der Landesvorsitzende.“ Die Delegierten tuschelten untereinander, packten ihre Butterbrote aus, einige verließen den Saal. Nur eines wollten sie nicht tun – ihrem Parteichef Peter Strieder Applaus spenden. Jedes Mal, wenn sich der Umweltsenator das Plädoyer für die große Koalition aus dem Leib gebrüllt hatte und eine Kunstpause einlegte, schlug ihm nichts als eisiges Schweigen entgegen. Erst als Strieder seine Rede mit zunehmender Unsicherheit und sich häufenden Versprechern an ihr Ende gebracht hatte, gab es einen kurzen Höflichkeitsapplaus.

Die SPD, hatte Fraktionschef Klaus Böger gewarnt, dürfe nicht mehr „verschämt regieren und verhalten opponieren“. Genau dafür aber haben sich die Delegierten am Mittwochabend entschieden. Unwillig stimmten sie dem Bündnis mit der CDU noch einmal zu – mit einer Mehrheit, die nur unter den besonderen Bedingungen der Berliner Sozialdemokratie als „überraschend deutlich“ gelten kann: 56 Prozent.

Gleichzeitig aber taten die Delegierten alles, um genau jene Köpfe zu demontieren, die die Partei in den Senat entsenden will. Leidenschaftslos warf die Basis der Parteispitze ihre Zustimmung zu den Koalitionsgesprächen hin. Ansonsten lautete die Botschaft: Wir werden es uns nicht nehmen lassen, diese Regierungsarbeit auch in Zukunft bei jeder Gelegenheit zu sabotieren.

Nach einer Behandlung wie sie Strieder widerfuhr, hätte ein Parteichef eigentlich zurücktreten müssen. In der Berliner Sozialdemokratie aber gelten solche Regeln längst nicht mehr. Die ununterbrochene Folge von Niederlagen und die ständigen Demütigungen in der großen Koalition haben der Partei das Rückgrat gebrochen. Wir lassen alles mit uns machen, und zwar in jeder denkbaren Konstellation – das war die Botschaft der Führungsriege. Dabei tat sich nicht nur Strieder, sondern auch der Fraktionsvorsitzende Klaus Böger hervor. Der vehemente Befürworter der Vernunftehe mit der CDU hatte noch kurz vor dem Parteitag in einem Interview verkündet, er stehe auch beim Gang in die Opposition als Fraktionschef zur Verfügung.

Solche Äußerungen nähren den Verdacht der Basis, dem sozialdemokratischen Führungspersonal gehe es mehr um die eigenen Pöstchen als um das Wohl der Partei. Den lautesten Beifall des Abends erntete daher der Parteilinke Hans-Georg Lorenz. „Lieber sterben wir den politischen Tod langsam und im Dienstwagen als schnell und in der Pfütze“, wetterte er gegen die Befürworter der Koalition. Der bullige Rechtsanwalt aus Spandau hielt eine mittelmäßige, nach den Maßstäben der Berliner SPD aber überragende Rede. Er sprach den Missmut fast der gesamten Partei gegen die große Koalition offen aus, und die Delegierten jubelten ihm dafür zu.

Doch gleichzeitig verkörperte Lorenz, als Innenpolitiker für seine Unberechenbarkeit berüchtigt, das Unseriöse der oppositionellen Versuchung. Der gescheiterte Spitzenkandidat Walter Momper hielt seinem Parteifreund Lorenz vor, im Einvernehmen mit CDU-Innensenatoren eine SPD-Position nach der anderen geräumt zu haben. Darunter habe er „entsetzlich gelitten“, bekannte Momper. Die Delegierten, traditionell mit einem geradezu pubertären Widerwillen gegen amtierende Spitzenkräfte ausgestattet, jubelten dem abservierten Wahlverlierer zu.

Momper selbst sprang der Parteispitze zwar in der Koalitionsfrage bei, nutzte die Gelegenheit aber auch, um sich beim sozialdemokratischen Führungspersonal für die im Wahlkampf erlittene Schmach zu revanchieren. Er beklagte „einen Mangel an Profil in den Bereichen, in denen wir Senatoren gestellt haben“ – und bezog diese Kritik ausdrücklich auf das Ressort Stadtentwicklung, für das Parteichef Strieder verantwortlich zeichnet. Mompers Beitrag geriet dabei im Vergleich zu seinen blassen Auftritten vor der Wahl so flammend, dass ein Vertrauter des Fraktionschefs aufstöhnte: „Hätte er eine solche Rede doch im Wahlkampf gehalten!“

Letztlich aber war es nicht der heißblütige Momper, der die Mehrheit vom Bündnis mit der CDU überzeugte. Es waren vielmehr jene Argumente, die Böger so leidenschaftslos aufgezählt hatte: Eine gemeinsame Opposition mit PDS und Grünen sei keine Opposition mehr, sondern eine Mehrheit. Zu einem solch grundlegenden Richtungswechsel aber konnte sich die Partei nicht entschließen.

Parteichef Strieder hatte das vorausgesehen – und auf die kalte Abfuhr für seine Rede betont gelassen reagiert. „In die große Koalition geht hier keiner mit Jubel“, sagte Strieder, als die Stimmen noch ausgezählt wurden. Nicht zwischen Koalition oder Opposition hatte die SPD zu wählen, sondern zwischen Jammertal und Leidenschaft. Sie hat sich für das Vertraute entschieden.

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