: Das war zweifellos falsch“
■ Jan Philipp Reemtsma, der Mann hinter der Wehrmachtsausstellung, räumt ein, zu wenig auf die Stimmen der Kritiker gehört zu haben. Die These von den Verbrechen der Deutschen im Osten sei aber unverändert richtig
taz: In den letzten Wochen ist gegenüber der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht“ erneut der Vorwurf erhoben worden, sie arbeite mit Maximalschocks, ziele mehr auf die Emotionen des Publikums als auf seinen kritischen Verstand. Gerade hierauf beruhe der Erfolg der Ausstellung. Ein berechtigter Vorwurf?
Jan Philipp Reemtsma: Den Erfolg der Ausstellung, die Resonanz auf sie in positiver wie in negativer Hinsicht hat niemand vorausgesehen, wir ebenso wenig wie die Kritiker. Es hat einen Prozess der öffentlichen Aneignung der Ausstellung gegeben, einer Öffentlichkeit, geeint im Dissens. Ein solcher Prozess verändert den Charakter der Ausstellung. Was sie im Effekt bewirkte, wird uns jetzt als Intention zugeschrieben.
1995 sagte ich, was bleibt, ist der Band „Vernichtungskrieg“. Die Ausstellung hingegen war auf den 50. Jahrestag von 1945 konzipiert, also etwas Vorübergehendes. Eingetreten ist der genau umgekehrte Effekt.
Damals wurde uns gesagt, die Ausstellung ist zu textlastig, die Bilder zu klein, so kann man keine Publikumswirkung erzielen. Noch ein Irrtum. Wir wollten keine Emotionalisierung, aber wir hatten unterschätzt, wie sehr das Thema die Menschen aufwühlte – und zwar über die Generationen hinweg. Eigentlich hatten wir geglaubt, die Legende von den sauberen Händen der Wehrmacht gehöre der Vergangenheit an. Aber sie lebte. So gerieten wir unter dem Eindruck konservativer Angriffe in eine Rolle, einen nachträglichen Prozess zu führen, Beweisstücke vorzulegen.
Was wollten Sie, beweisen oder illustrieren?
Am Konzept der Ausstellung kann man ablesen, dass sie nicht quasikriminalistisch ausgerichtet war. Wir wollten eher Tatorte als Taten zeigen – was allerdings ebenfalls der Rekonstruktion und Recherche bedurfte. Unsere These war, dass die Armee im Osten einen Vernichtungskrieg geführt hat. Diese These erweist sich aus den Dokumenten. Wie manifestierte sich der Vernichtungskrieg – in den Verbrechen der Wehrmacht.
Wirft nicht gerade die Befehlskette, vermittels derer in der Wehrmacht die Mordbefehle durchgesetzt wurden, die Frage auf, wer sich in welchem Umfang schuldig gemacht hat – während der Untertitel der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ sie bereits vorentscheidet?
Verbrechen sind nach unserer Meinung die, die institutionell angerechnet werden müssen. Unmittelbare Täterschaft, Verbrechen unter Kontrolle der Wehrmacht stehender Täter, Beihilfe oder Mittäterschaft.
Gut, das ist ein objektiver Begriff. Er beantwortet nicht die Frage der Schuld für die einzelnen auf den Fotos abgebildeten Soldaten.
Nein, aber ohne dass wir von Verbrechen sprechen, können wir auch nicht von Verantwortlichkeit sprechen. Ich halte mich in dieser Frage an Hannah Arendt. „Gehorsam ist ein Begiff der Kinderstube, nicht der Politik.“
Mir ist aufgefallen, dass der an Sie herangetragenen Kritik, zum Beispiel über falsche Zuschreibungen, nur sehr zögernd, manchmal auch überhaupt nicht entsprochen wurde – selbst wenn diese Kritik zum Teil durchaus einer „konstruktiven Absicht“ entsprang. Was sind die Gründe für ein solches Abwehrverhalten?
Das stimmt, und das war zweifellos falsch. Es ist eine Diskrepanz entstanden. Einerseits hat das Institut vielfach – gerade im Rahmen der Ausstellung – zur Kritik aufgefordert, sie geradezu erbeten. Andererseits haben wir uns gegenüber Kritik übenden Wissenschaftlern teilweise nicht richtig verhalten. Ich habe insbesondere mit Bogdan Musial hierüber gesprochen und ihm mein Bedauern ausgedrückt.
Kann es sein, dass Sie Wissenschaftlern und Forschungen aus Ostmitteleuropa, insbesondere aus Polen, nicht genug Beachtung geschenkt haben?
Zunächst einmal – Fehler müssen zugegeben werden. Ihren Vorwurf kann ich in dieser Allgemeinheit nicht akzeptieren, immerhin hat unser Institut zwei Bände mit polnischen Quellen zum Holocaust und einen Band über die geplante Vernichtung der polnischen Intelligenz ediert.
Aber nicht zum Komplex der Wehrmachtsverbrechen. Würden Sie der Auffassung zustimmen, dass der Komplex „Wehrmachtsverbrechen an der Ostfront“ im engem Zusammenhang mit den Verbrechen des stalinschen Systems analysiert werden muss?
Nicht in allgemeiner Weise, wohl aber überall dort, wo die Ereignisse etwas miteinander zu tun haben. Auch wo die eine Mordtat zum Vorwand für die andere wird. Die Kritik von Musial betrifft gerade solche Ereignisse. Blindheit gegenüber dem Stalinismus ist bei uns nicht anzutreffen, ich selbst war von dieser Krankheit sowieso nie befallen.
Was jetzt? Wird es um weitere Reparaturarbeiten gehen oder um eine Generalrevision?
Wir haben eine Auszeit für die Ausstellung beschlossen. In dieser Zeit wird eine Expertengruppe zusammentreten, unter ihnen auch wissenschaftliche Kritiker der Ausstellung. Das gesamte Text- und Bildmaterial wird überprüft werden, und die Expertengruppe wird dann Empfehlungen abgeben. Dann wird man sehen, wie groß der Veränderungsbedarf ist.
Zwischenbilanz?
Die Kritik an Details der Ausstellung darf nicht benutzt werden, um deren Gundthese in Frage zu stellen. Wir müssen das unsere tun, damit das nicht geschieht.
Interview: Christian Semler
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