: Neues Polizeivideo nach Sendeschluss
■ Zu den Vorfällen vor dem israelischen Generalkonsulat ist überraschend ein viertes Videoband der Polizei aufgetaucht. Für die Anwälte ist das ein weiteres Beispiel für eine Kette von Ungereimtheiten und offenen Fragen
Drei Tage nachdem der Untersuchungsausschuss seinen Abschlussbericht zur Klärung des Blutbades am israelischen Generalkonsulat vorgelegt hat, ist jetzt ein neues, viertes Polizeivideo aufgetaucht. Der Berliner Rechtsanwalt Martin Poell sagte gestern gegenüber der taz, er und sein Kollege Sven Lindemann hätten auf dem ersten der drei bekannten Polizeivideos einen bisher nicht beachteten Polizeibeamten mit Kamera entdeckt, der zwischen 14 und 14.30 Uhr dreimal durch das Bild gelaufen sei.
Sicher scheine, sagte Lindemann, dass das jetzt aufgetauchte Video im gleichen Zeitraum wie die anderen Aufnahmen entstanden sei. Beide Anwälte haben das Band gestern gesehen. Neue Erkenntnisse zu den Vorfällen am Konsulat gebe es nicht. Das Video entstand nach den Schüssen, die vier Kurden im Februar dieses Jahres töteten.
Lindemann bleibt skeptisch: „Ob wir jetzt wirklich das gesamte Bildmaterial in Händen halten, wissen wir nicht.“
In dem Prozess gegen acht Kurden, die am 17. Februar vor dem Konsulat protestiert hatten, haben Poell und Lindemann am vergangenen Montag dem Vorsitzenden Richter Helmut Schweckendiek das erste Videoband mit dem unbekannten Polizeibeamten vorgespielt. Der Richter habe innerhalb von 24 Stunden eine Kopie des neuen Bandes auf dem Tisch gehabt, bestätigte die Justizpressestelle gestern. „Erstaunlich schnell“, finden Lindemann und Poell, „dafür, dass von dem Band fast neun Monate niemand etwas gewusst hat.“
Für die beiden Anwälte passt dies in eine Reihe von Ungereimtheiten, die der nicht öffentliche Prozess derzeit aufwirft. Neben dem Video sei auch die Zeugenaussage eines Passanten verschwunden, der am 17. Februar die Ereignisse am Konsulat verfolgt habe. Dieser sei zwar von der Polizei noch vor Ort schriftlich vernommen worden, so Poell. Nur aufgetaucht ist das Protokoll seitdem nicht mehr.
Auch die Aussage eines Polizisten, der damals Wache vor dem Konsulat geschoben hat, macht ihn stutzig. In einem Nebensatz habe der eine obskure Nachbesprechung erwähnt, an der die Polizeiführung, die Einsatzleiter und „vier weitere Herren in Zivil“ teilgenommen hätten. Die zur Wache abgestellten Beamten seien befragt worden, mussten dann aber den Raum wieder verlassen. Poell: „Wir haben keine Ahnung, was dort besprochen wurde.“
Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Wolfgang Wieland (Grüne), hält das überraschend aufgetauchte Video im besten Fall für „Schlamperei“. Der taz sagte er: „Der Grad meiner Empörung richtet sich jedoch nach dem, was auf dem Video zu sehen ist.“ Bis Reaktionsschluss hatte er das Band noch nicht gesehen, aber auch er glaubt nicht, dass es wesentliche neue Erkenntnisse bringen werde. Und wenn doch? Dann sei das eine „große Schweinerei“.
Thorsten Denkler
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