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Architektur für Auschwitz

■ Das „Sauna“-Haus im Vernichtungslager Birkenau soll Ausstellungsraum werden. Erstmals in Deutschland zeigt die Galerie Reinfeld vier Konzepte

Glaubt man der Legende, ist es einem Unbekannten zu verdanken, dass zumindest einige der 40.000 jüdischen BewohnerInnen Bedzins noch heute ein Antlitz haben. 1946 soll der Unbekannte ehemaligen Häftlingen des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau einen Koffer übergeben haben. Sein Inhalt: Mehr als 2.000 private Fotos, die die BewohnerInnen jener zwischen Krakow und Katowice gelegenen polnischen Kleinstadt bei Hochzeiten, auf der Straße oder bei Familienfesten zeigen.

Von denjenigen, denen diese Fotos gehört haben, ist nichts geblieben. 1943 wurden die Bedziner Juden von den Nazis nach Auschwitz deportiert. Einzig die Fotos, die bis in die 90er Jahre weitgehend unbeachtet in den Archiven der Gedenkstätte Auschwitz lagen, künden noch vom unbeschwerten Leben jener gebildeten, teilweise assimilierten jüdischen BürgerInnenschicht Bedzins aus der Vorkriegszeit.

Im kommenden Jahr sollen diese Fotos in Birkenau als Teil einer großen Ausstellung gezeigt werden, die im ehemaligen „Saunagebäude“ des Vernichtungslagers Birkenau dauerhaft zu sehen sein wird. Zu diesem Zweck hat das staatliche Museum in Auschwitz 1995 einen Gestaltungswettbewerb ausgeschrieben. Vier KünstlerInnengruppen aus Israel, Polen und Deutschland wurden aufgefordert, ein Konzept für eine ständige Ausstellung in der „Sauna“ vorzulegen, in die auch die Fotos der Bedziner Juden zu integrieren waren. 1998 entschied sich die Jury für den Entwurf der Krakauer Kunsthochschulprofessorin Barbara Borkowska und des Grafikers Jacek Maria Stoklosa. Sowohl diesen prämierten Entwurf als auch die drei anderen Wettbewerbsbeiträge zeigt nun der Bremer Innenarchitekt und Galerist Udo Reinfeld in seinen Ausstellungsräumen am Weidedamm. Die extrem unterschiedlich gestalteten Modelle des „Saunagebäudes“ mitsamt den architektonischen Zeichnungen, konzeptionellen Überlegungen der WettbewerbsteilnehmerInnen sowie einigen Bedzin-Fotos sind erstmals in Deutschland zu sehen.

Der Bezugspunkt der vier Gestaltungsvorschläge ist die spezifische Geschichte der „Sauna“. Das als Zentralbad konzipierte und von den Häftlingen „Sauna“ genannte T-förmige Gebäude liegt im hinteren Bereich des Vernichtungslagers Birkenau und ist eines der größten noch erhaltenen Bauwerke auf dem Gelände. Innerhalb weniger Monate im Jahr 1943 errichtet und mit Desinfektions- und Badeeinrichtungen ausgestattet, diente die „Sauna“ als erster Anlaufpunkt für Neuankömmlinge. Hier begann jener entwürdigende Prozess, der Individuen zu bloßen Objekten der rassistischen Vernichtungsmaschinerie degradierte. In der „Sauna“ wurden die Häftlinge aller persönlichen Sachen beraubt. Sie wurden registriert, tätowiert, am ganzen Körper geschoren, desinfiziert, gebadet und in uniforme Häftlingskleidungen gesteckt. Wer von den Nazis mit solcher Sorgfalt bedacht wurde, konnte sich gar glücklich schätzen. Denn die „Sauna“ betraten nur jene, die die SS zuvor als arbeitsfähig klassifiziert hatte. Und denen somit das Schicksal der meisten Neuankömmlinge erspart blieb, die aus den Zugwaggons heraus direkt in den Gastod getrieben wurden.

Wie kann an die Geschehnisse an einem solch grauenvollen Ort angemessen erinnert werden? Barbara Borkowskas prämierter Entwurf beantwortet diese Frage konzeptionell eher traditionell. Ihr Vorschlag vermengt eine didaktisch mit Schautafeln arbeitende Informationsvermittlung über die historischen Hintergründe des Ortes mit einigen symbolisch ausgerichteten Szenarien, die die Ereignisse in der Sauna in Erinnerung rufen sollen. Kleidungsstücke und Gegenstände, die den Häftlingen weggenommen wurden, säumen ebenso die aus transparenten Glasplatten zusammengesetzte Besichtigungsroute wie vergrößerte Archivfotografien, die unter anderem große Mengen von Brillen, Schuhen und menschlichen Haaren zeigen. Am Ende der Route schließlich findet sich die monumentale, dreiteilige Fotografiemauer mit den Bedzin-Bildern, die sich im verdunkelten Glasfußboden ins Unendliche hinein spiegeln.

Im Vergleich zu Borowskas Entwurf arbeiten die Vorschläge des polnischen Künstlers und Ex-Lagerinsassen Jan Kosinski sowie der polnisch-deutschen Studentengruppe der Kunsthochschulen in Wroclaw und Braunschweig stärker mit den Gefühlen des Betrachtenden. Während die Studentengruppe durch die Installation gläserner Häftlings-Silhouetten und überall im Gebäude verteilten und an die Decke gehängten Tafeln eine beklemmende Raumsituation schaffen will, verwandelt Kosinski die „Sauna“ im wahrsten Sinne des Wortes in einen Dramenschauplatz. Mittels ausgeklügelter Lichteffekte, wie sie von Theaterbühnen bekannt sind, soll auch hier das Grauen der Anonymität entrissen und emotional vergegenwärtigt werden.

Allein der vierte Wettbewerbsbeitrag der israelischen Künstlerin Naomi Salmon vermeidet jeden Versuch, das Leiden der Opfer symbolisch oder in Annäherung zu rekonstruieren. Ihr formal ebenso strenger wie schlichter Entwurf korrespondiert mit jener Idee, die dem Berliner Holocaust-Mahnmal zugrunde liegt. Salmon plädiert dafür, die Sauna weitgehend unverändert im heutigen Zustand zu belassen. Einzig in einem Raum sollen 40 in Stahlsockel eingelassene Monitore installiert werden, auf denen die eingescannten Bedzin-Fotos in einer Endlosschleife hintereinander ablaufen – unterbrochen von erklärenden Texten. In einem weiteren Raum, der nicht betreten werden kann, liegen die Originalfotos auf dem Boden zerstreut und können durch Fenster eingesehen werden. Die „Sauna“ mutiert in dieser Konzeption zum anonymen Gräberfeld. Keine Form des Wissens und Erinnerns vermag die vernichteten Menschen mehr zum Leben zu erwecken. Was tatsächlich dort geschehen ist, wissen nur die Opfer. Und ihre Mörder. Franco Zotta

Die in Kooperation mit der Architektenkammer organisierte Ausstellung ist bis zum 19. November in der Galerie Reinfeld, Am Weidedamm 7, zu sehen. Öffnungszeiten: Mo. bis So. 12 bis 18 Uhr. Infos unter Tel.: 35 57 07

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