: Lauflernschuhe für Sozialstandards
■ Immer mehr Unternehmen entdecken fairen Handel als Marketingsinstrument. Entwicklungshelfer können damit leben
Herne (taz) – Fair ist in. Nicht nur bei entwicklungspolitischen Gruppen, sondern zunehmend auch bei Unternehmen. Der Otto-Versand bietet seit drei Jahren alternatives Handelsgut der gepa an, Karstadt machte in diesem Sommer eine breite Werbekampagne mit Transfair-Produkten, inklusive MitarbeiterInnenschulung.
In jüngster Zeit haben die beiden Handelshäuser sogar eigene „Codes of Conduct“ verabschiedet, also an internationalen Sozial- und Umweltstandards orientierte Verhaltenskodizes für ihre Lieferanten in unterschiedlichen Teilen der Erde. Diese Prozesse werden zum Teil von der bundeseigenen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (gtz) unterstützt. Weil die staatlichen Mittel inzwischen längst von den privaten Investitionen in Entwicklungsländern übertroffen werden, erhofft man sich hier Synergieeffekte.
Offenbar sehen das Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen ebenso, denn gut 100 TeilnehmerInnen waren in der vergangenen Woche der Einladung der gtz zu einem Workshop „Operationalisierung von Sozialstandards. Kooperationsmöglichkeit zwischen Wirtschaft und gesellschaftlichen Initiativen“ gefolgt.
Allerdings stellte sich dabei heraus, dass „fair“ so „in“ doch nicht zu sein scheint. Der Vorsitzende von Transfair musste bekunden, dass der Umsatz der Produkte mit dem bekannten Sozialsiegel rückläufig ist. Trotzdem will die Textilindustrie in dieser Woche einen europaweit gültigen Verhaltenskodex verkünden.
Beispielhaft deutlich wurden Motivation und Möglichkeiten des neuen Trends an einem Projekt, mit dem der größte deutsche Schuhverkäufer, Deichmann, seinen indischen Lieferanten Sozialstandards vermitteln will. Nach einem Ökotest-Bericht über giftige Farben in einem Deichmann- Kinderschuh im vergangenen Sommer war der Verkaufsumsatz des Essener Familienunternehmens drastisch eingebrochen. Etwa 30.000 Lauflernschuhe weniger wurden in den folgenden zwei Wochen in den 900 deutschen Läden abgesetzt, ein Verlust von mindestens 1,5 Millionen Mark.
Dass VerbraucherInnen so sensibel auf kritische Medienberichte reagieren, machen sich Aktionsgruppen zunehmend zunutze. Dabei akzeptieren sie auch „Sozialstandards als präventives Marketing“, wie der Vertreter des Blumenhandels das neue Flower-Label-Programm präsentierte. Hier wachen die Menschenrechtsorganisation FIAN, die Hilfswerke Brot für die Welt und terre des hommes sowie die Gewerkschaften allerdings auch mit über Lohnzahlungen, Gewerkschaftsfreiheit und Arbeitsschutz.
So weit ist Deichmann noch nicht. Das neue Projekt schließt bislang die Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen und ArbeiterInnen aus. Dabei gilt Partizipation als ein Kernelement deutscher Entwicklungspolitik.
Um solche Kinderkrankheiten der noch jungen Kooperation zwischen Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft zu beheben, will das Entwicklungsministerium nun ein Gesamtkonzept entwickeln, das im Frühjahr in einem weiteren Workshop vorbereitet werden soll.
Frank Braßel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen