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Presse 2000: Big Schily is watching you

■ Journalisten sind vom Entwurf des neuen Datenschutzgesetzes aufgeschreckt. Der Bundesinnenminister wiegelt ab: Die Pressefreiheit bleibt gewahrt

Berlin (taz) – „Das ist ja ein Hammer!“ „Kann das wirklich wahr sein?“ Die Journalisten, die gestern auf der Bundespressekonferenz in den ausgelegten Unterlagen blätterten, trauten ihren Augen nicht. Was sie da lasen, klang sehr gefährlich. Von „Zensur“ war die Rede, von Behinderung der Recherchen und von „Bedrohung der Pressefreiheit“ – und all das soll schon in zwei Wochen beschlossen werden? Kaum zu glauben.

Eigentlich ging es auf der Pressekonferenz „nur“ um die geplanten Änderungen des Datenschutzgesetzes. Doch der Deutsche Presserat hatte seine schriftliche Erklärung dazu mit Reizwörtern nur so gespickt, weil er wusste, dass er das Interesse der Journalisten nur auf diese Weise wecken konnte. Der Geschäftsführer des Presserats, Lutz Tillmanns, kennt seine Pappenheimer: „Mit dem Thema Datenschutz allein locken Sie keinen Hund hinterm Ofen vor.“ Mit einer drohenden Einschränkung und Behinderung ihrer eigenen Arbeit aber sehr wohl.

Deshalb beschrieben Tillmanns und seine Kollegin Ursula Ernst-Flaskamp vom Presserat auch ein beängstigendes Szenario: In jeder Redaktion wird demnach in Zukunft ein gestrenger Datenschutzbeauftragter über die Arbeit der Kollegen wachen. „Das müssen Sie sich so vorstellen“, sagte Ernst-Flaskamp, „der kann uns dann ständig über die Schulter schauen und fragen: Warum rufen Sie gerade den an?“ In Ruhe arbeiten könne keiner mehr, wenn der redaktionelle Datenschutzbeauftragte jederzeit Einsicht ins persönliche Notizbuch habe.

Wirklich zum „gläsernen Journalisten“ kommt es aber, wenn die Passagen des Gesetzentwurfes Wirklichkeit werden, die auch außenstehenden Personen Einsicht gewähren. Wenn dem Datenschützer etwas spanisch vorkommt, kann er sich an staatliche Stellen wenden und die Unterlagen weitergeben. Außerdem müssten die Redaktionen allen Personen, über die sie schreiben, Auskunft darüber geben, welche Daten über sie gesammelt wurden.

Offensichtlich brauchte es die große Bühne der Bundespressekonferenz in Berlin, um die bisher unbesorgten Journalisten aufzuschrecken. Der Entwurf des neuen Datenschutzgesetzes aus dem Hause von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) „kursiert“ nämlich schon seit Anfang Juli.

Der Presserat hatte seitdem mehrmals auf den brisanten Inhalt hingewiesen, bisher allerdings ohne große Resonanz. Jetzt wird die Zeit knapp: Bereits am 1. Dezember, so will der Presserat erfahren haben, wird Schily das Gesetz im Bundeskabinett verabschieden lassen. Spätestens Mitte nächsten Jahres soll es von Bundesrat und Bundestag beschlossen werden.

Der Presserat forderte gestern nochmals, in die Beratungen einbezogen zu werden. Um die Dramatik weiter deutlich zu machen, zog Tillmanns sogar den Vergleich zur rigorosen Asylpolitik des Innenministers: „Die Pressefreiheit ist genau wie das Asylrecht ein unantastbares Grundrecht.“

Schily reagierte auf die entsetzten Reaktionen prompt: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es nur einen Referentenentwurf.“ Es sei noch offen, wann sich das Kabinett mit dem Thema befassen werde. Von einer Einschränkung der Pressefreiheit könne keine Rede sein.

Lukas Wallraff

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