: Provokation in Maßen erlaubt
BGH verschärft Rechtsprechung gegenüber „Lockspitzeln“. Wer von V-Leuten zu einer Straftat verführt wurde, erhält Strafnachlass, nicht Straffreiheit ■ Von Christian Rath
Karlsruhe (taz) – Der Einsatz von Lockspitzeln führt auch weiterhin nicht zur Unzulässigkeit eines Strafprozesses, sondern nur zu einem Strafnachlass. Dies entschied gestern der Bundesgerichtshof (BGH) in einem neuen Grundsatzurteil. Lockspitzel – oder „agents provocateurs“ – sind verdeckte Ermittler oder V-Leute, die eine „Zielperson“ erst zur Begehung der Straftat verführen.
Im konkreten Fall war ein italienischer Versicherungsmakler, der in München lebt, von einem polizeilichen Lockspitzel in ein Drogengeschäft hineingezogen worden. Der V-Mann hatte den Italiener so lange bedrängt, bis dieser ein Kilo Kokain besorgte. Entsprechend der bisherigen Rechtsprechung erhielt der Mann nur einen Strafnachlass, wurde aber dennoch zu einer Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Sein Anwalt Eberhard Kempf fand, dass der Staat in diesem Fall „seinen Strafanspruch verwirkt hat“.
Soweit wollte der BGH nun nicht gehen. Ein „Verfahrenshindernis“ könne schon deshalb nicht angenommen werden, weil es völlig unterschiedliche Fälle der Tatprovokation gebe. „Wenn der spätere Täter nur leicht angestoßen wurde, kann dies nicht dieselben Folgen haben, wie wenn ihn ein V-Mann heftig bedrängt hat“, erklärte der Vorsitzende Richter Gerhard Schäfer zur Begründung.
Seine bisherige Rechtsprechung musste der BGH dennoch ändern, denn im letzten Sommer hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg entschieden, dass die polizeiliche Tatprovokation unzulässig sei und ein „faires Verfahren“ im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention ausschließe.
Würde die deutsche Rechtsprechung hierauf nicht reagieren, könnten die Betroffenen später in Straßburg Schadensersatz einklagen. Der BGH hat deshalb seine bisherige Linie verschärft.
Zwar soll die Tatprovokation durch verdeckte Ermittler oder V-Leute auch weiterhin nur zu einer Strafreduzierung führen. Diese aber müsse „gewichtig“ sein, wenn der spätere Täter zuvor keinerlei Tatbereitschaft zeigte.
Im Fall des Italieners regte der BGH eine Reduzierung der Strafe auf nur noch drei Monate an, überließ aber dem Landgericht München die exakte Bestimmung des Strafmaßes.
Zudem muss im Urteil künftig ausdrücklich festgestellt werden, dass ein Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention vorlag und in welchem Umfang dies strafmildernd berücksichtigt wurde.
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