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Neue Angst vor der Zukunft in Algerien

Nach dem Mord an der Nummer drei der Islamischen Heilsfront fürchten viele um den Friedensprozess. Hachani stand für den Ausgleich mit der Regierung und die Rückkehr der Islamisten in die Politik  ■   Von Reiner Wandler

Der Tod von Hachani ist für viele Algerier ein Zeichen, dass die Versöhnungspolitik nur wenig Veränderung gebracht hat

Madrid (taz) – Algerien hält den Atem an. Nach dem Mord am Montag an Abdelkader Hachani, der Nummer drei der verbotenen Islamischen Heilsfront (FIS), wächst die Angst, das Land könne erneut in einer Welle von Gewalt versinken, die den zaghaft begonnen Friedensprozess zum Erliegen bringt. „Dieser kriminelle Akt zeigt, dass die Feinde der zivilen Eintracht und der nationalen Aussöhnung nur das Schlechteste für das algerische Volk wollen“, heißt es in einem Kommuniqué von Präsident Abdelaziz Bouteflika nur wenige Stunden nach dem Attentat. Ähnliche Worte kamen aus allen Parteibüros des Landes sowie vom französischen Außenminister Hubert Védrine und aus dem Weißen Haus.

Auch vor den tödlichen Schüssen auf Hachani fiel die Bilanz der Politik des Präsidenten eher dürftig aus. Seit der Verabschiedung des Gesetzes zur zivilen Eintracht, dass eine Amnestie für all diejenigen vorsieht, die kein Blut an den Händen haben, wurden nur 2.500 der über 20.000 islamistischen Gefangenen begnadigt. 1.000 bewaffnete Islamisten stellten sich den Behörden. 5.000 bis 7.000 Mitglieder der radikalen Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA) sollen sich noch immer in den Bergen versteckt halten. Ihnen werden die über 500 Morde seit Inkrafttreten des Aussöhnungsgesetzes zugeschrieben. „Randerscheinungen“, verharmlost Bouteflika das erneute Aufflammen der Gewalt.

Der Präsident verliert zunehmend an Glaubwürdigkeit. Immer wieder berichtet die algerische Presse von der Blockadehaltung eines Teils der Armee gegen die Friedenspolitik. Sieben Monate nach seiner Wahl ist Bouteflika noch immer nicht in der Lage, die Regierung umzubilden oder die Armeespitze neu zu berufen. Seine Säuberungsaktionen gegen korrupte Staatsdiener bleiben auf die obere Ebene der Verwaltung beschränkt.

Nun könnte er auch noch den Rückhalt in der Bevölkerung verlieren, die seiner Friedenspolitik bei einem Referendum im September mit knapp 99 Prozent zustimmte. Der Tod von Hachani ist für viele ein Zeichen, dass sich nur wenig geändert hat. Stellt sich die Frage, wie lange der bewaffnete Flügel der FIS, die Islamische Armee des Heils (AIS), ihren Waffenstillstand aufrechterhält.

„Die FIS hat ihren Joker verloren“, titelte gestern die Tageszeitung La Tribune. Und die Präsidentschaft einen Ansprechpartner, ließe sich hinzufügen. Seit seiner Haftentlassung im Juli 1997 stand Hachani in Kontakt mit der Staatsführung. Anders als die Prediger Abassi Madani und Ali Benhadj – der erste unter Hausarrest, der zweite im Militärgefängnis in Blida – war der 44-jährige Petrochemiker ein politisch denkender Technokrat in der FIS-Führungstroika. Er organisierte die Leitungsstrukturen im Inland neu und versuchte die Islamisten für die Aussöhnung zu gewinnen.

Auch wenn er an der Wiederzulassung der FIS festhielt, fuhr Hachani zweigleisig. Während des Präsidentschaftswahlkampfs im vergangenen April meldete er sich überraschend auf der politischen Bühne zurück. Er stand dem islamistischen Kandidaten und Ex-Außenminister der FLN, Ahmed Taleb Ibrahimi, als Berater zur Seite. Sicherlich wäre ihm auch auf dem Gründungskongress von Ibrahimis Partei, der Wafa, der Mitte Dezember stattfinden soll, eine wichtige Rolle zugefallen. Bouteflika lehnt zwar die Legalisierung der FIS ab, gegen ein Engagement einzelner FIS-Führer in einer gemäßigten islamistischen Partei hat er aber nichts einzuwenden. Auch dieser Schritt zur Normalisierung ist nach Hachanis Tod in Gefahr.

„Wir glauben, dass das Umfeld der Ausrotter für dieses Verbrechen verantwortlich ist. Sie profitieren von der politischen Blockade“, heißt es in dem kurzen Kommuniqué der FIS-Auslandsleitung. Éradicateurs – Ausrotter – werden in Algerien diejenigen genannt, die weiterhin auf die vollständige Vernichtung des bewaffneten wie des politischen Islamismus setzen. Ob die Gegner von Bouteflikas Politik im Staats- und Militärapparat den Mord direkt bestellt haben oder nur tatenlos zusahen, wie die GIA „den Verräter“ zum Ziel nahmen, für die FIS kommt es auf das Gleiche heraus.

Vor knapp einem Monat hatte Hachani in einem Interview mit der in Genf erscheinenden Le Temps die politische Unentschlossenheit Bouteflikas angegriffen. „Die Lösung der Frage der Gewalt hängt von einer politischen Öffnung ab“, sagte er. Auf beiden Seiten des Konflikts gibt es genug Leute, die davon nichts wissen wollen. Einer davon hat auf Hachani und auf den Friedensprozess geschossen.

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