: Die ostdeutsche Provinz bellt zurück
Wie sieht das ZDF den Ossi? Hinterwäldlerisch und stasiverliebt. Es sendete am 9. November einen Beitrag über Frankfurt (Oder). Am Montag flogen die Redakteure hin und mussten sich dem Publikum erklären ■ Von Margret Steffen
Frankurt a. d. Oder (taz) – „Entschuldigen Sie sich!“, schreit einer aus den hinteren Reihen vor zum Podium. Doch der Mann links außen verzieht keine Miene. ZDF-Redakteur Udo Frank sagt nichts. Die Stimmung in der Konzerthalle brodelt wie einst bei den Bürgerdiskussionen vor zehn Jahren. Aber kein Parteibonze ist es, der hier den gesammelten Bürgerzorn von Frankfurt (Oder) zu spüren bekommt, sondern ein Journalist.
Udo Frank hat einen Beitrag für das ZDF-Magazin „Frontal“ zum 9. November gemacht. Über Frankfurt, nicht gerade zimperlich, doch gerade heraus und zugespitzt, wie man so schön sagt. Der kleine Film hat die Frankfurter empfindlich getroffen. Sie jammerten in der Märkischen Oderzeitung herum und verlangten einen zweiten Besuch vom ZDF, auf dass es sich ein realistischeres Bild verschaffe.
Und so muss sich Udo Frank Montagabend zu einem Canossa-Flug gen Osten aufmachen, zusammen mit seinem Chefredakteur Klaus Bresser. Auge in Auge mit den Ostdeutschen.
Ziemlich viele sitzen in der Konzerthalle und sind empört. So empört, dass sich etwa 1.000 von ihnen in die Stuhlreihen drängen. Man habe das zeigen wollen, was nicht funktioniert, sagt Chefredakteur Bresser. Und: „Diese Stadt verdient es nicht, geschönt dargestellt zu werden!“
Da hat er wohl recht, nur beziehen sich die Pfiffe und Buhrufe vor allem auf die Arbeitsmethoden seines Redakteurs. Der hat zehnTage in Frankfurt recherchiert und gefilmt. Zum Beispiel beim „Chor der Volkssolidarität“. Die alten Damen haben auf sein Drängen hin die DDR-Nationalhymne noch einmal gesungen. „Immer noch gerne ...“, hat Frank dazu im Beitrag getextet. Dann hat er sich in den Straßen der Stadt nach Kurzhaarigen umgeschaut. Und leider aber den Falschen erwischt, um den Rechtsextremismus in Frankfurt (Oder) zu bebildern. Außerdem zitiert er eine Eigenheimsiedlung als letzte Bastion verschreckter Westler. Schulsystem und Uni-Leben hat er in düstersten Farben gemalt.
Jetzt sitzen die Leidtragenden vor ihm in der ersten Reihe: alles Leute, die er in Schwierigkeiten gebracht hat oder deren Leben und Arbeit in Frankfurt von dem Bericht betroffen sind. Sie bombardieren ihn mit Widerlegungen, mit Fakten, mit Gegendarstellungen – die einen zitternd vor Aufregung, die anderen ironisch treffsicher.
Stürmischer Beifall und Jubelrufe aus dem Publikum. Allmählich verliert Redakteur Frank die Fassung. Viel mehr bleibt ihm auch nicht, als die Stirn zerknirscht in Falten zu legen, mit den Augenbrauen zu zucken, wenn die Missrecherchen zu offensichtlich, die unterlaufenen Fehler zu peinlich sind. Er nickt zu den Korrekturen der angeblich diskriminierten Westler, des kurzhaarigen Jungen. Und wühlt in seiner Tasche, als der Chefarzt der angeprangerten ehemaligen „Stasi-Klinik“ in Frankfurt erzählt, wie es wirklich war – mit der Überprüfung der Mitarbeiter, und dass Vergangenheitsbewältigung eben nicht nach den Vorstellungen von Gut und Böse verläuft.
Der Journalist Udo Frank wird mitsamt seinem Beitrag vorgeführt. Eine bemerkenswerte Leistung: Er hat sie alle, wirklich alle, gegen sich. Entsprechend schwach fällt auch seine Entgegnung aus. Man könnte eben im Osten mit solcher Kritik immer noch nicht umgehen. „Das mit der Wagenburg der Westler ist sicher überspitzt formuliert gewesen“, sagt Frank. Im Übrigen seien das aber „Nebenkriegsschauplätze“. Den Stasifilz in der Klinik aber könne niemand von der Hand weisen. Schließlich habe er eine Namensliste vorliegen.
Das Publikum mag sich aber nicht beruhigen. „Unerträglich“, bemerkt ein älterer Herr, aber nicht, weil es hier um die Stasi geht, sondern weil niemand den Redakteur so einfach davonkommen lassen will. Vor Frank sitzen kampflustige Zuhörer. Keine vergrämten Ossis.
Der Generalsuperintendent der Evangelischen Kirche Brandenburg, Rolf Wischnath, moderiert. Er macht das mit friedfertigem Witz, um die Gemüter ruhig zu halten. Während der schnell wechselnden Wortmeldungen geht es teilweise hoch her. Vor allem Jörg Schönbohm (CDU), Innenminister von Brandenburg, entfacht mit wenigen Sätzen wahre Begeisterungsstürme. Während er Udo Frank mit dem alten DDR-Agitator Karl Eduard von Schnitzler vergleicht, schaut er ihn, der neben ihm sitzt, nicht einmal an. Schönbohm ist heute abend auf Sympathiefang.
Die Chorleiterin sagt, sie wolle Strafanzeige gegen Frank stellen, wegen Beleidigung. Frank sagt, er wolle sich entschuldigen, aber nur dort, wo durch den Beitrag „tatsächlich Gefühle verletzt wurden“. Jedoch nicht bei den „Genossen Filz“ und nicht bei jenen, die er den Tatsachen entsprechend im Beitrag untergebracht hätte.
Die Macher vom ZDF waren nach Frankfurt gereist, „um Gräben zuzuschütten, die wir nicht aufgerissen haben“. So saßen sie arrogant auf dem Podium und schmetterten ab, was ihnen entgegen flog. Selbst in der Diskussion stieß Redakteur Frank seine Interviewpartner vor den Kopf. Was sie richtig stellen wollten, ließ er unkommentiert im Raum stehen. Positive Aussagen über Frankfurt waren im Beitrag unberücksichtigt geblieben.
Eines war nach diesem Abend klar: Frank kann nicht die Geschichte vom verbiesterten, ewiggestrigen Osten gefunden haben, die er suchte. Zu differenziert ist das gewesen, was ihm seine Interviewpartner ins Mikrofon gesprochen hatten – das haben sie bei der Diskussion klargestellt. Zu spät. Der Film von den groben Klischees ist längst gesendet.
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