: Ein großer Tag für Deutschland“
Die Aussprache zum Kanzleretat geriet zur narzisstischen Selbstinszenierung von Gerhard Schröder und Volker Rühe. Der eine meint, er sei der Retter der Nation, der andere hält sich für den besseren Kanzler ■ Aus Berlin Tina Stadelmayer
Der eine präsentierte sich als Retter der Nation, der andere als der bessere Kanzlerkandidat. Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein Herausforderer Volker Rühe (CDU) nutzten die Aussprache zum Kanzleretat im Bundestag, um sich in Szene zu setzen.
Einmal mehr kündigte Schröder an, er werde mit aller Kraft um Arbeitsplätze kämpfen. Zum Beispiel sich dafür stark machen, dass die Banken den Baukonzern Holzmann retten. Jetzt gehe es um nicht weniger, als die bundesrepublikanische Gesellschaft zusammenzuhalten und das zu bewahren, was „bewundernswert ist an Deutschland, nämlich dass man sich zusammensetzt und gemeinsam Auswege aus der Krise sucht“. Sozialdemokraten und Grüne, aber auch einige Unionsabgeordnete applaudierten laut.
„Gott sei Dank“ hatte der Kanzler zu Beginn seiner Rede gesagt und wiederholte diesen Ausruf: „Gott sei Dank sind Besserungstendenzen am Arbeitsmarkt zu erkennen.“ Es sei ein großer Erfolg seiner Regierung, dass es in diesem Jahr weniger Arbeitslose gebe. Im nächsten Jahr werde ihre Zahl zum ersten Mal seit langem im Jahresdurchschnitt unter vier Millionen liegen. Und „Gott sei Dank“ stehe die Bundesrepublik auch bei der Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit an der Spitze der europäischen Länder.
Ich bin der Kanzler, der das Ruder herumreißt, die Wirtschaft in Schwung bringt, und alle werden davon etwas haben – das war die Botschaft von Schröders Rede. Er selbst sagte es so: „Unsere Perspektive ist die Stärkung der Wirtschaft, um den sozialen Ausgleich finanzieren zu können.“ Die geplanten Einsparungen im Bundeshaushalt seien notwendig, um dieses Ziel zu erreichen. „Warum ist das so?“, fragte der Kanzler und lieferte prompt die Antwort. Weil es unsozial sei, den Finanzkonzernen jedes Jahr Millionen an Zinsen für die Staatsschulden zu zahlen. Das Geld komme schließlich von den kleinen Leuten.
Vehement verteidigte der Kanzler seine Politik gegen den Vorwurf, sie sei unsozial. Die Steuerreform und die Senkung der Rentenbeiträge würden dazu führen, dass die Arbeitnehmer von dem, was sie brutto verdienten, netto mehr in der Tasche hätten. Schröder versprach, die geplante Unternehmenssteuerreform werde den Mittelstand steuerlich entlasten und dadurch Arbeits- und Ausbildungsplätze schaffen. Seine Regierung werde außerdem mehr Geld in Bildung und Wissenschaft investieren.
Beim Thema „Rentenreform“ wurde es turbulent im Bundestag. „Wir verlangen von den älteren Menschen einen Solidarbeitrag“, sagte Schröder. Die Rente werde zwei Jahre lang gemäß der Preissteigerungsrate erhöht. „Das ist unanständig“, rief ein CDU-Abgeordneter dazwischen. „Sie haben in den vergangenen Jahren doch nicht einmal das hinbekommen“, konterte der Kanzler.
„Dies ist ein guter Tag für Deutschland“, rief er zum Schluss seiner Rede und genoss den lang anhaltenden Applaus der SPD- und bündnisgrünen Abgeordneten. „Dies war ein verlorenes Jahr für Deutschland“, tönte dagegen Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe, der für den kranken CDU-Vorsitzenden Wolfgang Schäuble einsprang, zu Beginn seiner Erwiderung. So wurde er unversehens zum Kanzler-Herausforderer, eine Rolle, von der er schon lange träumt.
Betont lässig schleuderte Rühe dem Kanzler entgegen, das Sinken der Arbeitslosigkeit habe nichts mit der Politik der Bundesregierung zu tun, sondern mit der Tatsache, dass immer mehr Menschen ins Rentenalter kommen. Genüsslich zitierte Rühe die britische Zeitung Independent: „Kanzler Schröder hat in diesem Jahr schon mehr Kehrtwendungen vollzogen als ein Berliner Taxifahrer in seinem ganzen Leben.“
Einmal in Fahrt, wandte Rühe sich Finanzminister Hans Eichel zu: „Sie fühlen sich hier im Bundestag offensichtlich viel wohler als auf jedem SPD-Parteitag.“ Eichel machte gute Miene zum bösen Spiel. Sodann folgte ein Scherzchen auf Kosten von Außenminister Joschka Fischer: „Sie sind das beste Beispiel für Kehrtwendungen.“ Die Grünen hätten in Schleswig-Holstein vor kurzem noch gegen neue Parkplätze protestiert: „Demnächst werden Sie wohl die Asphaltierung der Sandbänke fordern.“ Das fand der Bundeskanzler lustig und lachte laut.
Am Schluss seiner Rede gab sich Rühe ganz als Staatsmann. Amerikanische Poltiker hätten ihm berichtet, wie sehr sie sich wegen der Einsparungen im deutschen Verteidigungshaushalt sorgten. „Eine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und Amerika wird es nicht geben, wenn die Sicherheitsfunktionen in dem Maße wie geplant abgebaut werden“, rief der ehemalige Verteidigungsminister seinem Nachfolger Rudolf Scharping zu. Volker Rühes Botschaft lautet: Hier spricht der künftige Kanzlerkandidat der CDU, der Mann, der die kommende Bundestagswahl gewinnen will.
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