Wir lassen wetten
: Eins, Null oder Zwei

■ Sportwetten machen nicht reich, helfen aber bei fußballerischer Trostlosigkeit

Heutzutage ist es ziemlich hilfreich, einen guten Freund in Koblenz zu haben. Denn Koblenz liegt in Rheinland-Pfalz, und Rheinland-Pfalz ist Oddset-Country. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern, in denen weiter auf die Toto-Fee gehofft oder wohl verdientes Geld auf ominöse Konten noch ominöserer Wettanbieter transferiert werden muss. Nicht im Oddset-Land: Man kombiniert auf einem Tippschein der alt bekannten Lottoannahmestelle gleich um die Ecke eine beliebige Anzahl von Spielpaarungen und holt Tags darauf dortselbst seinen Gewinn ab. Davor ist lediglich eine klitzekleine Hürde errichtet: Der Rubel rollt nur, wenn alle Tipps in der Tendenz richtig sind. Und das ist schwerer, als man denken mag.

Dabei war ich gut vorbereitet, neulich, vor dem Selbstversuch. Nicht umsonst habe ich Jahrzehnte in diversen privaten Tippzirkeln verbracht, oft genug Wahrscheinliches wie den richtigen Meister prognostiziert, auch eher Unerwartetes wie den Aufstieg von Finke und Freiburg, zutiefst Angenehmes wie Manchesters Sieg im Champions-League-Finale von Barcelona, zuweilen auch Niederschmetterndes wie den Absturz am Millerntor. Habe über Trainerrauswürfe spekuliert, die unsympathischsten Manager und Präsidenten benannt und die beknackteste Spielerfrau. Eigentlich konnte nichts schief gehen.

Ging es aber. Frankfurt spielte nicht wie es sollte, und Rostock war besser als erhofft. Schon waren die fünf Mark Wetteinsatz zum Teufel. Ich beschloss, mich noch umfassender zu informieren. Wer ist wessen Angstgegner, welchen Spielmacher plagt ein Zipperlein, wo gibt es Zoff beim Duschen, in welchen Torwartehen kriselt es? Daten mussten gesammelt, systematisiert und ausgewertet werden. Zunächst auf Kosten des Nachtschlafes, dann als Ganztagsjob. Schnell war klar: Die angemessene Vorbereitung einer Fußballwette und das Ausüben einer geregelten beruflichen Tätigkeit sind kein Paar.

Dann der zweite Versuch. Jetzt, da alles bedacht und das Risiko minimiert war, musste es nicht länger beim Mindesteinsatz bleiben. Schließlich sollte die ganze Arbeit nicht umsonst gewesen sein. Doch das Ergebnis entbehrte nicht einer gewissen Ernüchterung: Tore in der Nachspielzeit und unberechtigte Platzverweise gegen den Lieblingsverein sind nun einmal schicksalhafte Ereignisse, die über uns hereinbrechen wie Halskrankheiten.

Es war an der Zeit, meine Taktik zu überdenken. Unentschieden bringen gute Quoten, sind aber schwer vorauszusagen. Das gilt für Auswärtssiege nicht minder. Da sollten doch fünf Spiele zu finden sein, die nur einen Sieger haben können: die Heimmannschaft. Quoten zwischen 1,2 und 1,8 sind kein Brüller, aber dafür lockt ein Erfolgserlebnis ohne Wenn und Aber.

Samstagnachmittag. Bis zur Fernsehfußballshow kann ich nicht warten, das gute alte Radio muss ran. Schon nach 20 Minuten bin ich leicht angeschwitzt. Zwar fertigen die Bayern Freiburg ab, aber Leverkusen tut sich gegen Rostock schwer. Meine Zunge ist belegt, der Puls bewegt sich im submaximalen Bereich. Ganz nebenbei verliere ich zwei Kilo Gewicht. Wenigstens etwas.

Bis zum Schlusspfiff ändert sich an alldem nicht viel. Das Geld ist futsch. Ratlosigkeit macht sich breit. Bald werden Haus und Hof verspielt und mein Image als profunder Fußballkenner ruiniert sein. Doch in dem ganzen unermesslichen Elend lugt urplötzlich ein Silberstreif hervor. Ich stelle fest, zunächst verwundert, bald schon entzückt, dass ich einen Fußballnachmittag hatte wie lang nicht mehr.

90 Minuten voll gebannter Erwartung und kindlicher Neugier. Ich habe gefiebert, gezittert und geschrien. Wo sonst so oft fußballerisches Niemandsland war, sind plötzlich Faszination und Charisma. Im Licht der Sportwette entwickeln graue Mäuse ihren ganz eigenen Zauber, und ein null zu null wird zur atemberaubenden Erfahrung. Und eine erschreckende Erfahrung: Ich habe mich mit den Bayern gefreut und Freiburg die 1:6-Niederlage gegönnt. Schließlich steht an der Stelle auf meinem Tippschein eine Eins. So tief kann man fallen. Reiner Leinen