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BRUTALER LÄRMTERROR! statt Stille Nacht, Heilige Nacht

Das größte Bauprojekt Kreuzbergs, das Viktoria-Quartier auf dem einstigen Schultheiss-Gelände, soll in Nachtarbeit hochgezogen werden. Genervte Anwohner protestieren    ■ Von Rolf Lautenschläger

Genehmigungen für Nachtarbeit samt Baulärm sind in der Hauptstadt der Baustellen nicht Ausnahme, sondern die Regel

Die Anwohner des Viktoria-Areals am Kreuzberg müssen um ihre Nachtruhe bangen. Die Bauträger Hochtief sowie die Philipp Holzmann AG, die für die Investoren Realprojekt, Deutsche Bank und Veba das große Wohnquartier samt Berliner Landesmuseum errichten, wollen ihre „lärmintensiven Arbeiten“ auf die späten Abendstunden ausdehnen. Derzeit liegt ein Antrag der Firmen auf eine „Ausnahmezulassung“ bei der zuständigen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vor. Diese plant, nach der gesetzlichen Anwohneranhörung der Arbeitszeitverlängerung zuzustimmen.

Die beiden Firmen wollen die Baumaßnahmen von derzeit 7.00 bis 20.00 Uhr auf 21.30 oder länger ausdehnen. In einem Schreiben an die Senatsverwaltung begründen Hochtief und Philipp Holzmann ihre Interessen damit, dass „Großbetonagen“ durchgeführt werden müssten. Die Fundamente mit jeweils 1.200 Quadratmetern könnten „aus technologischen Gründen“ nur in einem Guss hergestellt werden. Deshalb, so ein Holzmann-Mitarbeiter, müsse der Betoneinbau „nach 20 Uhr“ stattfinden. Die Baufirmen streben an, dass die „Verfügung“ bis Ende Februar 2000 bestehen bleibt.

Bei den Nachtarbeiten werden Maschinen und Fahrzeuge verwendet, die weit über den erlaubten Richtwerten der Lärmverordnung liegen, heißt es weiter in dem Antrag. Zum Einsatz kämen Pumpengrößen mit Geräuschen „zwischen 85 bis 95 Dezibel“ und Fahrzeuge mit „einem Lärmpegel von 75 bis 81 Dezibel“ .

Obwohl die Lärmrichtwerte weit über den zulässigen Grenzbereichen von 40 bis 50 Dezibel liegen, sieht die Senatsverwaltung keine Veranlassung, den Antrag zurückzuweisen. Ausnahmeregelungen, sagte der zuständige Sachbearbeiter Michael Miller, würden gestattet, wenn etwa aus technischen Gründen große Betonsohlen gegossen werden müssten. Trotzdem will die Verwaltung die Anhörung am 1. Dezember abwarten. Die Ausdehnung der Regelung bis Ende Februar hält Miller dagegen jetzt schon für „überzogen“. „Das kommt vom Tisch.“

Nach Auskunft der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bildet die Ausnahmeregelung für das Viktoria-Quartier keine Ausnahme, sondern ist derzeit die Regel in der Hauptstadt der Baustellen. „Fast auf jeder größeren Baustelle“, sagte Elisabeth Rüther von der Presseabteilung, würden heute Sonderverordnungen für Nachtarbeiten erteilt. So würden auf dem ABB-Gelände an der Köthener Straße, dem Potsdamer Platz oder dem Lehrter Bahnhof Nachtarbeiten stattfinden können.

Mit den Ausnahmeregelungen steigen auch die Beschwerden über Lärm auf Baustellen. Millers Abteilung, die bei Anwohnerprotesten Messungen durchführt, hat rund 1.000 Beschwerden jährlich registriert. Vor dem Bauboom und zu Mauerzeiten lag die Zahl in Berlin (West) bei 450 bis 600 Anfragen, war also deutlich geringer.

Auch die Anwohner des Schultheiss-Geländes sind über die Terminanträge von Hochtief und Holzmann empört. Zugleich trauen sie weder der Verwaltung noch den Baufirmen, dass Lärmschutzmaßnahmen errichtet würden. „In der Vergangenheit haben wir mehrfach Missachtung der Lärm- und Arbeitszeitbestimmungen festgestellt“, sagte Dirk Westphal, Mitglied der Anwohnerinitiative, zur taz. Als Entschädigung mussten die Investoren Ausgleichszahlungen für 260 Haushalte gegenüber dem Vermieter, dem Moabiter Erbbauverein, leisten.

Die Erteilung der Ausnahmegenehmigung für Betonagen sei „nicht akzeptabel“, so Westphal weiter. Der Protest der Anwohner richte sich nicht gegen das Wohnprojekt mit rund 300 geplanten Wohnungen und den neuen Standort für die Berlinische Galerie. Aufgrund der früheren Vorkommnisse sei aber damit zu rechnen, „dass lärmintensive Arbeiten über 21.30 Uhr hinaus“ vorprogrammiert wären. Das ist nicht hinnehmbar.Westphal drohte, weitere Mietminderungen einzufordern, falls die Regelung umgesetzt wird.

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