piwik no script img

Jetzt wird gerechnet

Ob ein heterosexuelles Paar heiratet oder in „wilder“ Ehe zusammenlebt, ist häufig nur eine Frage des finanziellen Kalküls: Wiegt die persönliche Freiheit schwerer als Steuervorteile? Schwule und lesbische Paare haben bislang nie die Wahl gehabt, für ihre Liebe staatlichen Schutz mit verbrieften Rechten und Pflichten anzustreben. Kirchlichen und staatlichen Segen erbitten Lesben und Schwule mittlerweile relativ selbstbewusst. Für die finanziellen Aspekte ihrer Diskriminierung beginnen sie sich erst langsa zu interessieren. Wird das Ehe- und Familienrecht durch die „Homoehe“ revolutioniert? Von Nicole Maschler und Kai Detig

Schon im Leben war Rex Gildo eine tragische Figur. Mit seinem Sprung aus dem Fenster versuchte er ein letztes Mal, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Vor seinem Tod hatte er das gesamte Vermögen seinem Liebhaber überschrieben. Von seiner Frau lebte Gildo seit neun Jahren getrennt. Doch der letzte Wille könnte dem Sänger verwehrt bleiben. Denn das bürgerliche Familienrecht, mit dem BGB nun fast hundert Jahre alt, hat den Fall Rex Gildo nicht vorgesehen.

Ein automatisches Erbrecht existiert nicht für so genannte wilde Ehen – nicht für heterosexuelle, nicht für homosexuelle Paare. Stirbt einer der Partner, gibt es für den Überlebenden keine Rechtssicherheit. Ohne einen letzten Willen, der den Nachlass regelt, geht er oder sie leer aus. Mehr noch: Selbst im Fall eines Testaments hat die Familie des Verstorbenen ein Anrecht auf einen Pflichtteil. Sogar Trauerfeier und Bestattung des Toten sind Sache der Angehörigen.

Die konservative Familienpolitik hat sich der Aufgabe, schützend in solche Beziehungskisten einzugreifen, stets entzogen. Nach dem Motto „Wer will, kann ja heiraten“ wehrten Unionspolitiker in der Vergangenheit jeden Angriff auf das bürgerliche Eherecht ab. Damit sind sie vor allem dem Problem homosexueller Partnerschaften beharrlich ausgewichen.

Im Zeitalter der Beziehungsvielfalt erscheint die Familiengesetzgebung als Anachronismus. Die Realität hat die Paragrafen längst überrollt: Jedes dritte Ehepaar ging im letzten Jahr an der Justizpforte getrennter Wege. Im Westen gründet mittlerweile jedes siebte Paar einen Hausstand ohne den Segen von Vater Staat. Verkehrte Welt, möchte man meinen: Diejenigen, denen der Staat den roten Teppich ausrollt, damit sie sich zur Familie zusammentun, verweigern sich und nehmen häufig sogar erhebliche Nachteile bei der Besteuerung in Kauf. Gleichgeschlechtliche Paare hingegen, die ihre Beziehung gerne durch einen Stempel des Standesbeamten besiegelt hätten, dürfen nicht.

In der öffentlichen Debatte ist das Thema Homoehe meist darauf zugespitzt worden, dass sich lesbische und schwule Paare öffentlich zu ihrer Beziehung bekennen können sollen. Ein verständlicher Wunsch – wenn auch einer, der häufig als lässlich wahrgenommen wird. Wozu bürokratischen Segen für eine Liebesverbindung bemühen? Zur romantisch angehauchten Feier der Partnerschaft? Durchaus. Aber das ist es nicht allein. Denn die Diskriminierung durch das bisher strikt heterosexuell konzipierte Ehe- und Familienrecht lässt sich auch in konkreten Zahlen ausdrücken. Zahlen, über die sich viele Lesben und Schwule – gewohnt, von den Segnungen des Staates ausgeschlossen zu sein – nie Gedanken gemacht haben. Einige Fallbeispiele:

Hiltrud, 34, ist Krankenschwester und lebt mit Monika, einer technischen Zeichnerin, zusammen. Beide haben seit zwei Jahren ein Kind (künstliche Befruchtung); Monika hat in ihrem Beruf weniger verdient und bleibt zu Hause beim Kind. Hiltrud verdient 65.000 Mark im Jahr. Als Alleinstehende mit einem Kind (Steuerklasse II, Haushaltsfreibetrag) beträgt ihre Steuerbelastung 12.771,21 Mark. Könnte sie sich mit Monika zusammen veranlagen lassen, betrüge die Steuerlast 8.191,98 Mark. Das entspricht einem Steuervorteil von 4.579,23 Mark.

Horst, 49, ist Kinderarzt und hat eine eigene gut gehende Praxis. Bei einem Jahresgewinn von etwa 240.000 Mark, einer Beteiligung an einem „steuerlichen Abschreibungsmodell“ sowie einer fremdvermieteten Wohnung beträgt seine Steuerlast 92.816,92 Mark. Horst ist seit fünfzehn Jahren mit Wilfried zusammen, der freiberuflicher Möbeldesigner ist. Die Geschäfte von Wilfried laufen nicht so günstig; er hat viel in eine neue Büroausstattung und einen Computer investiert, viel Zeit geht aber auch durch Mithilfe in Horsts Praxis drauf. Durch Verluste aus seinem Atelier beträgt die Steuer null Mark für Wilfried. Bei einer Zusammenveranlagung hätte Horst eine Steuerlast von 55.512,85 Mark, also einen Steuervorteil von 37.304,07 Mark.

Natürlich gibt es auch Fälle, in denen eine gemeinsame Veranlagung beider PartnerInnen zu Steuernachteilen führen kann. Diese ist jedoch für Eheleute nicht zwingend vorgeschrieben.

Georg ist Pastor und hat ein Gehalt von 90.000 Mark. Sein Freund Waldemar ist Rechtsanwalt mit einem Jahresgewinn von 100.000 Mark. Georg kann durch Fortbildungsmaßnahmen hohe Werbungskosten veranschlagen; außerdem haben beide Verluste aus einer fremdvermieteten Immobilie. Bei Einzelveranlagungen ergibt sich eine Steuerlast von 28.646,26 Mark, bei Zusammenveranlagung 30.885,62 Mark. Der Steuernachteil beliefe sich hier auf 2.239,46 Mark.

Doch die getrennte Steuererklärung ist nur eine Schattenseite wilder Ehen – ein Erfahrungswert aus vielen heterosexuellen Beziehungen. „Heiraten wollte ich nie“, erinnert sich etwa Susanne Peters, 38 Jahre. Mit neunzehn hatte sie den gleichaltrigen Jan kennen gelernt. Rasch wussten beide, dass sie zusammenbleiben würden. Jan drängte auf Heirat, doch Susanne empfand die Ehe als einengend und unmodern, ein Ritual aus längst vergangenen Tagen. Als sich die beiden sieben Jahre später ihren Lebenstraum erfüllen und einen sanierungsbedürftigen Altbau in bester Lage kaufen, unterschreiben sie schließlich beim Notar einen Partnerschaftsvertrag. „Wir wollten verhindern, dass einer von uns im Todesfall die Familie des anderen ausbezahlen muss.“ Bei ihrem geringen Verdienst hätte das für die Kindergärtnerin wie für den Mechaniker den finanziellen Ruin bedeutet. Mit dem Papier setzten sie sich gegenseitig als unbeschränkte Alleinerben ein.

Die Zeiten, in denen der wilden Ehe etwas Anrüchiges anhaftete, sind vorbei. Jenseits des bürgerlichen Familienrechts werden neue Modelle für das Zusammenleben gehandelt. Verträge, registriert Michael Uerings, Sprecher der Bundesnotarkammer, seien „im Kommen“. Unverheiratete Paare lassen sich vom Notar ein Eherecht nach Maß aufsetzen. Ein gangbarer Weg auch für Homopaare. Doch auf eine Frage kann auch das selbstgezimmerte Erbrecht keine Antwort geben: das Problem der Erbschaftssteuer. Während der Staat hinterbliebene Ehepartner erst ab 600.000 Mark zur Kasse bittet, behandelt er Nichtverheiratete trotz Vertrags wie Fremde.

Noch einmal zurück zu Kinderarzt Horst und seinem Lebensgefährten Wilfried: Während des Bestehens ihrer Partnerschaft, den guten Zeiten aus der Praxis und einem glücklichen Händchen bei Aktienspekulationen, hat Horst einVermögen von etwa 1,2 Millionen Mark aufgebaut. Alleinerbe ist gemäß Testament natürlich Wilfried.

Verstirbt Horst heute, erbt Wilfried diese 1,2 Millionen Mark. Er ist jedoch dem gesetzlichen Pflichtteilsanspruch von der noch lebenden 74-jährigen Mutter von Horst ausgesetzt: Als gesetzliche Erbin (hätte Horst kein Testament gemacht) hätte sie zu hundert Prozent geerbt, der gesetzliche Pflichtteil ist die Hälfte des gesetzlichen Erbes. Damit hätte also die Mutter von Horst einen Zahlanspruch von 600.000 Mark gegenüber Wilfried. Für die verbleibenden 600.000 Mark unterliegt Wilfried der Erbschaftssteuer: Bei einem Freibetrag von 10.000 Mark (bei Nichtangehörigen oder, wie das Gesetz sagt, „allen übrigen Erwerbern“) beziehungsweise einem Abzugsbetrag von 20.000 Mark für die Erbfallkosten sind 570.000 Mark mit 29 Prozent Steuer beschwert. Dies entspricht 165.300 Mark; es verbleiben Wilfried also 434.700 Mark.

Hätte sich die Mutter von Horst als homofreundlich geoutet und zu Lebzeiten von Horst auf ihren Pflichtteilsanspruch vor einem Notar verzichtet, hätte Wilfried immer noch 1,17 Millionen Mark mal 35 Prozent = 409.500 Mark an Erbschaftssteuer zu zahlen gehabt.

Hieße Wilfried Elfriede und wäre die Frau von Horst, hätte er/sie schon alleine aus dem Zugewinnausgleich (alles, was an Vermögen während der Ehezeit erworben wird, gehört den Ehepartnern gemeinsam) ein eigenes Vermögen von 600.000 Mark. Als Ehefrau ist sie weiterhin auch nicht einem Pflichtteilsanspruch ausgesetzt, da auch ohne Testament ein gesetzliches Erbrecht der Mutter nicht mehr besteht. In Folge des Todesfalles hätte Elfriede also nur 600.000 Mark geerbt; der persönliche Freibetrag der Ehefrau beträgt exakt 600.000 Mark. Elfriede hätte also nicht eine Mark Erbschaftssteuer zu zahlen. Unterschied: 765.300 Mark.

Nach Schätzungen der Verbände sind etwa acht Prozent der über 20-Jährigen homosexuell. Die Hälfte von ihnen lebt mit einem festen Partner. „Viele gleichgeschlechtliche Paare versuchen inzwischen, ihre Beziehung durch einen Erbvertrag nach außen zu dokumentieren und soweit wie möglich abzusichern“, sagt Michael Uerlings von der Bundesnotarkammer. Zufrieden geben sich homosexuelle Paare mit dieser „Notlösung“ allerdings nicht. „Zum Notar könnte ich auch mit meiner Schwester gehen“, sagt Klaus Jetz, Sprecher des Schwulen- und Lesbenverbandes. „Die Regierung hat versprochen, das Problem endlich anzugehen. Bis dato hat sich nichts getan.“

Dass die Koalition noch in diesem Jahr einen eigenen Gesetzentwurf vorlegt, glaubt Axel nicht. Seit zwei Jahren lebt der Lehrer aus Berlin mit seinem Freund Lars zusammen. In seinem Bekanntenkreis sei ein Paar, sagt der 36-Jährige, das habe sich in Hamburg „trauen“ lassen. Doch von solchen symbolischen Aktionen hält Axel wenig. Auch mit dem Partnerschaftsvertrag kann der offen schwul lebende Mann nur wenig anfangen. „Die wichtigsten Rechtsfolgen fallen dabei doch unter den Tisch. Gerade im Erbrecht schweben wir weiter im rechtsfreien Raum.“

In den skandinavischen Ländern dagegen ist die „eingetragene Lebenspartnerschaft“ längst Realität. Dänemark war das erste Land, das 1989 das so genannte „Lov om registreret partnerskab“ in Kraft setzte. Danach können sich gleichgeschlechtliche Paare beim Standesamt eintragen lassen. Mit wenigen Ausnahmen wie etwa dem Adoptionsrecht sind sie damit Ehepartnern gleichgestellt. Norwegen und Schweden folgten 1993 bzw. 1995 mit eigenen Regeln. Kein anderes Land bietet gleichgeschlechtlichen Paaren einen solchen, der Ehe nahezu gleichwertigen Familienstatus an. Bereits 1986 hatte Schweden ein „Gesetz über das gemeinsame Heim Zusammenlebender“ verabschiedet. Dort ist genau festgelegt, wer im Falle einer Trennung was erhält. Aufgeteilt werden der gemeinsam angeschaffte Hausrat und die Wohnung – gleichgültig, wer der Eigentümer ist.

Auch Axel weiß um die Vorteile einer klaren Abmachung. Als seine letzte Beziehung zu Ende ging, fing das Drama erst richtig an. Mit dem Gedanken, einen Vertrag abzuschließen, hatte sich Axel nicht anfreunden können. Zu sehr erinnerte das Arrangement an ein Geschäft. Auch eine Liste, wem Schrank, Bett und Geschirr gehört, existierte nicht. „Das war vielleicht blauäugig“, gibt Axel zu. Um jeden Teller, jede Tasse gab es schließlich Streit. Obwohl ein Partnerschaftsvertrag den Rosenkrieg verhindert hätte, steht für Axel fest: Eine solche halbherzige Vertragslösung würde die Diskriminierung der Schwulen nur zementieren.

Die Zeichen der Zeit hat auch die rotgrüne Koalition in Berlin erkannt. Seit einem Jahr brüten Sozis und Grüne nun schon über neuen Regeln für den Pas de deux. Was eine Familie ist, entscheidet sich nach dem Willen der Koalition künftig danach, wer mit wem am Frühstückstisch sitzt – und nicht länger nach Trauschein oder Stammbuch. Der Plan, allen „auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaften“ die gleichen Rechte einzuräumen wie Ehepartnern, würde das deutsche Familienrecht revolutionieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen