piwik no script img

Prinzipienlose Wendigkeit

Zum gestrigen Auftakt der Debatte um den Hamburger Haushalt im Jahr 2000 in der Bürgerschaft waren leisere Töne eher nicht gefragt  ■ Von Peter Ahrens

Der erste Tag der Haushaltsdebatte – eine einzige Zitatensammlung. Das ist der Tag des Plakativen, da werden Senatoren gleich im Doppelpack zu Rücktritten aufgefordert und möglichst drastische Bilder gewählt. Lediglich GAL-Fraktionschefin Antje Möller versuchte, Zwischentöne in die Debatte einzubringen.

Als erster stieg traditionell der Chef der größten Oppositionsfraktion in die Bütt. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Ole von Beust packte die Axt aus und wollte mit Bausenator Eugen Wagner und Schulsenatorin Rosemarie Raab gleich zwei SPD-Senatsmitglieder sofort entlassen wissen. „Wagner ist nicht wirtschaftsfreundlich, und darum muss er weg“, nahm von Beust den neuen Verkehrs-Entwicklungsplan zum Anlass, den Rücktritt des ewigen Eugen zu fordern. Und Raab solle gleich mitgehen: „Die politische Power“ sei weg, „guter Wille allein reicht nicht.“ Ansonsten das Übliche: Von Beust sieht überall „Mittelmaß“, „nur handwerkliches Verwalten“, die Eliten würden nicht genug gefördert, eine Akademie für Multimedia müsse her.

Sein SPD-Kollege Holger Christier verbrachte zwei Drittel seiner Ausführungen damit, seinen CDU-Vorredner abzuwatschen – ungewohnt kämpferisch und aggressiv, als habe er sich die Angriffs- und Formulierlust eines ganzen Jahres für die letzte Rede des Jahres aufbewahrt. „Zu den wenigen zutreffenden Äußerungen Ihrer Rede gehört die Feststellung, dass in drei Wochen das Jahr 2000 beginnt,“ eröffnete er. Er bescheinigte der CDU eine „Mischung aus Erkenntnisresistenz und prinzipienloser Wendigkeit“ und kommentierte die Bemühungen der CDU in den sozial schwächeren Stadtteilen Hamburgs als „flott gestylten Armutstourismus“. Christier weiter: „Ich finde das gut, dass sich die CDU auch in Stadtteilen sehen lässt, gegen die sie sechzehn Jahre Bonner Politik gemacht hat – das ist eine sinnvolle Form von Täter-Opfer-Ausgleich.“

War Christier der Beißer, blieb seiner Kollegin Antje Möller vom kleineren Koalitionspartner der leisere Part. Die während der Debatte draußen gegen den Haushalt demonstrieren (Siehe Bildunterschrift), „sind unsere Wähler und Wählerinnen“, das sei eine „bittere Erkenntnis“. Man müsse sich fragen „ob wir nicht mehr eng genug an den Leuten dran sind“. Die Hafencity oder die Arbeitsmarktpolitik, das seien Erfolge von Rot-Grün, aber man müsse sich immer wieder die Frage stellen: „Werden die politischen Ziele erreicht?“

Diese Frage hat der Regenbogen für sich längst beantwortet und verneint. Beim Senat stellt Gruppen-sprecherin Heike Sudmann „jegliches Fehlen sozialer Gerechtigkeit“ fest, den Atomkraftwerken werde fast unbeschränkte Lebensdauer garantiert und es gelte nur der Grundsatz: „Sparen, bis die Schwarte kracht“.

Sudmann erneuerte auch ihre Kritik, dass der Senat bei der Entschädigung der Zwangsarbeiter der NS-Zeit nicht in Vorleistung trete. Bürgermeister Ortwin Runde kam ihr lediglich mit dem Satz entgegen, dass „es an der Zeit ist, zu einer humanitären Geste zu kommen“. Ansonsten verwies er auf die Bundesstiftung. Der Sozialausschuss beschäftigte sich am gestrigen späten Abend noch mit dem Thema.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen