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Die Hauptstadt der Putzkolonnen

Schon Mitte der 90er hat Stefan Krätke vor der wirtschaftlichen Krise Berlins gewarnt. Sein jüngstes Buch schlägt erneut Alarm

Von Stefan Krätke stammt der Satz, dass von Berlin als Metropole nur in Bezug auf die soziale Spaltung seiner Einwohner die Rede sein könne. Diese bereits Mitte der 90er-Jahre getroffene Feststellung des Leiters derForschungsstelle für europäisch vergleichende Stadt- und Regionalforschung an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) hat damals für einige Aufregung gesorgt. Schließlich wähnten sich die Berliner Politiker immer noch im Metropolentaumel, mit allem Ost-West-Drehscheiben-Gerede und Dienstleistungs-Blablabla inklusive.

Heute wissen wir es besser. Berlin hat nicht nur 270.000 Industriearbeitsplätze verloren und kommt damit nur auf die Hälfte des industriellen Arbeitsplatzbestandes der Bankenmetropole Frankfurt/Main. Auch im angeblich boomenden Dienstleistungssektor hat die Stadt bei weitem nicht das aufgeholt, was sie sich vorgenommen hat. Die Folge: Die Hauptstadt liegt beim Wirtschaftswachstum hinter allen anderen Bundesländern zurück, und die soziale und räumliche Spaltung nimmt vor allem in den Innenstadtbezirken zu. Zeit genug also für den Ökonomen und Geografen Stefan Krätke, zusammen mit der Soziologin Renate Borst wieder einmal Zwischenbilanz zu ziehen.

Wer von den beiden allerdings spitze Polemiken und politische Visionen, linke Wege aus der Krise sozusagen, erwartet, muss sich getäuscht sehen. Was Krätke und Borsttaber leisten, ist eine umfassende und faktenreiche Analyse sowohl der ökonomischen als auch der soziologischen Aspekte der Berliner Krise. Und ihr Buch ist darüber hinaus eine weitere Warnung an die politisch Verantwortlichen. Deren gängiger Vorstellung von der derzeitigen Entwicklung als „Strukturanpassung“ an vergleichbare westeuropäische Großstädte setzen Krätke und Borst den alarmierenden Befunde gegenüber, dass selbst im Speckgürtel die wirtschaftliche Entwicklung wieder rückläufig ist. Gleiches gelte für die vom Senat immer wieder als Zukunftsbranchen apostrophierten Bereiche Kultur, neue Medien oder Forschung.

Ganz anders sieht es dagegen bei den niederen Dienstleistungen aus. Was „Bad Jobs“ angeht, erreicht Berlin, die „Hauptstadt der Putzkolonnen und Privat-Sheriffs“, eine Spitzenposition im westeuropäischen Vergleich.

Das Hauptaugenmerk der Politik sollte, so die Autoren, deshalb darauf liegen, weitere soziale und räumliche Spaltungen einzudämmen. Denn: „Die künftige wirtschaftliche Position Berlins hängt nicht zuletzt von der wirtschaftlichen und sozialen Kohärenz der Stadtpolitik ab.“ Uwe RadaStefan Krätke/Renate Borst: Berlin. „Zwischen Boom und Krise“. Verlag Leske und Budrich, 306 Seiten, 44 Mark

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