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Voll gegen Schröders CDU

Weil sie dem Gerede der Großkopferten nicht trauen, organsierten Betroffene eine Armutskonferenz von unten. Die war immerhin reich an kreativen Vorschlägen ■ Von Kirsten Küppers

Spätestens seitdem am Anfang des Monats der Bundesfachkongresses „Armut und Gesundheit“ in Berlin stattfand, reichte es den „Hängematten“. Die selbst organisierte Friedrichshainer Initiative, die sich selbst ironisch als „Arbeitslose, die nicht auf Bali sind“ etikettieren, raffte sich auf und initiierte eine eigene Konferenz „von Betroffenen, mit Betroffenen, für Betroffene“. Reichlich Betroffenheitsmobilisierung aus Verdrossenheit über Fachleute, die auf Podien über etwas reden, das sie selbst nie erlebt haben.

So saßen bei der „Armutskonferenz von unten“ am Freitag knapp 200 Obdachlose, Sozialhilfeempfänger und Erwerbslose an langen Biertischen in der zugigen Halle eines ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerks in Friedrichshain, um bei grünem Tee und Räucherstäbchenduft über ihr Armsein zu diskutieren. Besonders Engagierte hatten sich schon zwei Tage vorher in neun Arbeitsgruppen getroffen und Themen wie arme Familien, Drogenproblematik oder Obdachlosigkeit vorbereitet. Doch ganz so betroffen ging’s auch in Friedrichshain nicht zu. Immerhin hatten sich viele Aktivisten mit sozialwissenschaftlicher Terminologie bewaffnet. Und auch der Alkoholausschank durfte erst nach 21 Uhr stattfinden. Später wurde die Bar wegen der Kälte für Biertrinker aber doch früher geöffnet.

In den Referaten selbst drehte sich alles um den „Drehtüreffekt“, das heißt den Teufelskreis „ohne Arbeit kein Geld und ohne Geld keine Arbeit“. Die Zuhörer antworteten mit praktischen Kniffen zum Verhalten auf dem Sozialamt und gaben sich kampfeslustig. Beim Stichwort Vernetzung bot eine Frau von einer ehrenamtlichen Initiative in Lichtenberg gut gelaunt rosa und weiße „Arbeitsplätzchen“ an. Ein junger Mann nutzte die Gelegenheit, dem anwesenden Friedrichshainer Sozialstadtrat Lorenz Postler (SPD), das „übel launige und unkompetente Verhalten der Beamten auf den Sozialämtern“ um die Ohren zu hauen. Bisweilen würde man dort sogar geduzt. Postler konnte nur defensiv etwas von „Einzelfällen“ murmeln. Die Arbeitsgruppe zu „Armut im Alter“ fiel aus, weil nur ein Rentner zu den Vorbereitungstreffen erschienen war. Die Hemmschwelle, sich die eigene Armut einzugestehen, sei wohl zu gering, meinte eine Organisatorin. Auch das Referat der Migranten fand nicht statt, weil es aus Angst vor Sanktionen keinen zum Reden vor eine so große Gruppe trieb. Nach einer Pause mit Erbsensuppe war schließlich Uwe von der AG „Obdachlosigkeit“ dran. Er selbst, an der sozialen Marktwirtschaft gescheitert“, erzählte Interessantes vom Alltag der zirka 7.200 offiziell gemeldeten und rund 18.000 offiziell geschätzten Berliner Wohnungslosen. So würden etwa in den Notunterkünften „angestammte Obdachlose“ von polnischen Bauarbeitern verdrängt, die billige Übernachtungsmöglichkeiten suchten, weil ihre Chefs Schlafplätze in Baucontainern zu teuer vermieteten. Seinen insgesamt mit akademischem Jargon wie „Kultur der Kommunikation“, „mittelschichtsorientierte Vorstellungen“ und „negative Dynamik“ gespickten Vortrag fasste der Moderator schlicht mit „man muss mit dem Arsch hoch kommen und kämpfen“ zusammen.

Einem kleinen Herrn mit Plastiktüte ist das Ganze trotzdem noch zu schwarzmalerisch-theoretisch. „Ich bin sehr enttäuscht, dass Sie nur das Negative runterrasseln. Machen Sie den Leuten doch Mut“, platzte es unverhofft aus ihm heraus. „Ja, mehr Aktionen“, jubelte ein Mädchen mit Rastahaaren, die sich gegen „Schröders CDU“ auflehnt und Umverteilung verlangt. Selbstverständlich müsse man, wenn genügend Leute das wollten, auch die Systemfrage stellen, kommentiert der Moderator.

Doch obwohl ein grauhaariger Mensch immer wieder „Weihnachten müssen wir uns alle treffen!“ krakeelt, bleibt insgesamt die Mehrheit der Veranstaltungsteilnehmer auf dem Teppich. Wie aus dem Lehrbuch für soziale Bewegungen steht nach Erfahrungsaustausch und Solidarisierungsbekundungen erst ein gemeinsames Kommuniqué an. Einstimmig segnen die Anwesenden eine lange Liste von Forderungen ab. Sie wollen die Legalisierung weicher Drogen genauso wie ein Existenzgeld von 1.500 Mark plus Miete und die Abschaffung des Zwangs zu gemeinnütziger Arbeit. Dazu ein Werbeverbot für Tabak und Alkohol und keinen Einstellungsstopp mehr für Lehrer. Was mit dieser Liste passiert, ist klar: „Verschicken, verschicken! An den Senat, die Regierung und die Parteien“, sagt ein bärtiger Aktivist. Das mit der Revolution dauert dann wohl noch etwas.

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