Merkels Vatermord

Das Mädchen“ machte gestern ihrem politischen Ziehvater den Garaus. Helmut Kohl müsse die Namen der Spender nennen, sagte die CDU-Generalsekretärin Angela Merkel. Es werde höchste Zeit, dass sich die CDU vom Altkanzler emanzipiert. Und sie tat dies nicht ohne Rückendeckung der Parteispitze ■ Aus Berlin Karin Nink

Die Erleichterung ist in der CDU fast physisch zu spüren. Endlich der Befreiungsschlag gegen den Patriarchen. Endlich will das pubertierende Kind CDU sich von seinem Übervater Helmut Kohl trennen. „Unwiderbringlich vorüber“ sei die Zeit von Helmut, verkündet Angela Merkel gestern in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. „Das Mädchen“ , wie Kohl sie gern nannte, hat den Vatermord gewagt. Und viele in der Partei danken es der Generalsekretärin, dass sie aussprach, was viele denken, sich aber nicht laut zu sagen trauten: „Die Partei muss laufen lernen, muss sich zutrauen, in Zukunft auch ohne ihr altes Schlachtross [...] den Kampf mit dem politischen Gegner aufzunehmen.“

Nun aber, nachdem Merkel das Signal gegeben hat, kommen die Reaktionen: „Die Emanzipation von Helmut Kohl ist angesagt“, so der haushaltspolitische Experte der CDU-Fraktion, Friedrich Merz. Die Vorsitzende der Jungen Union, Hildegard Müller, steht „eindeutig hinter Angela Merkel, und ich teile ihre Ansicht“. Auch Präsidiumsmitglied Rainer Eppelmann hält es für „sehr, sehr gut“, dass Angela Merkel deutlich gemacht habe, dass „Kohl und die CDU aufgehört hätten, identisch zu sein“. Der zu den „jungen Wilden“ gehörende Bundestagsabgeordnete Eckhart von Klaeden schließlich hält Merkels Schritt „für richtig und mutig“.

Merkels Vorgehen ist strategisch, aber sicher nicht von langer Hand geplant. Zu sehr hatten Merkel und Parteivorsitzender Wolfgang Schäuble zu Beginn der Affäre darauf gesetzt, dass Kohl selbst mehr zur Aufklärung der Affäre beitragen würde. Stattdesssen düpierte er die neue Führungsspitze und zog die Partei weiter mit in den Sumpf, als er ohne Absprache mit Merkel und Schäuble im ZDF öffentlich gestand, bis zu zwei Millionen Mark Spenden illegal angenommen zu haben, sich aber gleichzeitig weigerte, die Spender zu nennen.„Es besteht die Gefahr, dass der Schaden, den die Partei durch die Affäre ohnehin schon erlitten hat, verstärkt wird durch den falschen Umgang Kohls mit der Affäre“, fürchtet von Klaeden.

Auch das CDU-Präsidium hat in seiner gestrigen Sitzung unmissverständlich klargemacht, dass alle Beteiligten – auch Kohl – „das, was sie wissen, auch darlegen müssen“, so Schäuble und erwähnte explizit Kohl. Kein Zweifel: Um den Ehrenvorsitzenden der CDU wird es einsam.

Mit ihrer demonstrativen Bereitschaft, die Spendenaffäre „nur mit Helmut Kohl“ aufklären zu wollen, hielten Merkel und Schäuble zwar die Anhänger von Kohl bei der Stange, blieben selbst die ganze Zeit aber in einer gefährlichen Abhängigkeit von Kohl. Sie konnten immer nur reagieren und kaum agieren. Nun hat Merkel den Spieß umgedreht. „Das war, was Kohl angeht, der letzte Schuss vor den Bug“, analysiert einer aus der Partei Merkels Vorgehen. Das Präsidium hat ihr gestern den Rücken gestärkt. Kohl war gar nicht erst gekommen.

„Die von Kohl eingeräumten Vorgänge haben der Partei Schaden zugefügt“, stellte Merkel in ihrem Artikel klar. Und legt dem Patriarchen im weiteren – so vorsichtig wie es bei der CDU eben sein muss – einen Rücktritt von seinen politischen Ämtern, Bundestagsabgeordneter und CDU-Ehrenvorsitzender, nahe: „Vielleicht ist es nach einem so langen politischen Leben, wie Helmut Kohl es geführt hat, wirklich zuviel verlangt, von heute auf morgen alle Ämter niederzulegen, sich völlig aus der Politik zurückzuziehen und den Nachfolgern, den Jüngeren, das Feld zu überlassen.“

Wie eine Drohung muss es in den Ohren von Kohl klingen, wenn sie schreibt: „Und deshalb liegt es weniger an Helmut Kohl als an uns, die wir jetzt in der Partei Verantwortung haben, wie wir die neue Zeit angehen.“

Merkel symbolisiert in der Partei die neue Zeit. Denn kein anderer in der CDU steht trotz oder gerade wegen der Spendenaffäre in der Öffentlichkeit derzeit so gut da wie die Generalsekretärin. Sie avanciert, der Schattenwelt des Kohlschen System entstiegen, zur neuen Lichtgestalt der CDU.

Dennoch war und ist ihre Distanzierung von Kohl für sie nicht ohne Risiko. Die Kohl-Mafia in der Partei steht weiter zu „dem Alten“ und wird es der neuen Generalsekretärin anhängen, wenn die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen verloren gehen sollten. Und in vielen Landesverbänden steht die Basis trotz aller Enttäuschung weiter zu Kohl. „Je tiefer man zur Basis vordringt, umso mehr Kohl-Getreue findet man“, sagt einer.

Die CDU hat sich noch immer nicht von ihrem Übervater gelöst. Die Wahlniederlage 1998 hat offenbar nicht für einen Neuanfang gereicht, und die durch die erfolgreichen Landtagswahlen heraufbeschworenen Kindheitserinnerungen an Kohl waren zu stark. Die Spendenaffäre und Merkels Äußerungen scheinen nun mehr Wirkung zu haben.