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Wirkungsloses Kameraauge ■ Schulhof per Videoüberwachung ist pädagogisch unsinnig
Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen spricht allenthalben von Werteorientierung. Zugleich will er der Gewalt auf Schulhöfen mit der Installation von Videokameras den Garaus machen. Damit hilft er niemandem.
Eine Videokamera kann nicht die Autorität eines Lehrers ersetzen, der Pausenaufsicht hat. Ein Mensch, der rechtzeitig in einen Konflikt eingreift und mit Worten überzeugt, ist allemal wirkungsvoller als das anonyme Auge einer Kamera. Sie zeichnet den Tritt in den Magen des Mitschülers auf. Die Tat wird erst nach ihrem Vollzug geahndet werden.
Diepgen hofft, dass die Schüler aus Angst vor den Repressionen weniger gewalttätig agieren. Warum sollten sie? In Wahrheit könnte die Installation von Videokameras auf gewaltbereite Schüler nur den zusätzlichen Reiz ausüben, die Videokamera „auszutricksen“ und tote Winkel auszuloten.
Auch wenn das Klima an Schulen in den vergangenen Jahrzehnten rauer geworden sein mag, werden wohl kaum technische Hilfsmittel die Aggressivität verringern, sondern einzig das pädagogische Gespräch – und da sind nun mal die Lehrer gefragt. Zudem werden, wenn Diepgen sich durchsetzt, Lehrer sich künftig hinter den Kameras verstecken können. Immer seltener werden sie als Gesprächspartner auf dem Schulhof präsent sein müssen.
Das Ergebnis der Installation von Videokameras wird schlicht sein, dass vor allem gelegentliche Übertretungen der offiziellen Regeln geahndet werden. Damit gehört das heimliche Rauchen der Vergangenheit an, das Blaumachen wegen eines ungeliebten Unterrichtsfachs und das Klettern über den Zaun, weil man den Umweg zum Eingang scheut. Genau die Regelverletzungen mit denen Schüler schon immer ihre Lehrer geärgert haben: das ewige Katz- und Mausspiel, dass zu jedem schönen Schülerleben dazugehört.
Aber Diepgen setzt mit diesem Vorstoß auch ein politisches Signal. Videoüberwachung wird im öffentlichen Raum zunehmend normal, sodass sie schließlich niemanden mehr stört, weil sich alle langsam aber sicher daran gewöhnen werden. Auch die Kleinen unter uns. Eine gute Investition in die Zukunft. Annette Rollmann
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