: Ein Schweizer Wirtschaftsliberaler reinen Wassers
Präsident des Hamburger Weltwirtschaftsarchivs setzt auf Flexibilisierung und Lohnspreizung: „Mich ärgert der Vorwurf, wir bekämen amerikanische Verhältnisse“
Hamburg (taz) – Das Hamburgische Weltwirtschaftsarchiv HWWA – das klingt ein bisschen verstaubt und nach Mottenpulver. Dabei hat es bereits seinen Namen in „HWWA – Institut für Wirtschaftsforschung“ modernisiert und einen neuen Präsidenten, Thomas Straubhaar, dem nichts mehr zuwider ist, als altmodisch zu wirken. Der 42-jährige Volkswirtschaftler aus der Schweiz spricht gerne von „großelterlichen Rezepten“, mit denen die deutsche Politik immer noch versuche wirtschaftliche Zusammenhänge zu begreifen. Genauso gern plädiert er für „moderne Konzepte“, die jetzt umgesetzt werden müssten. Ein Plädoyer, das der HWWA-Chef auch gestern hielt, als er die Konjunkturprognose fürs Jahr 2000 vorstellte.
Internationalisierung? „Die Deutschen wissen noch gar nicht richtig, was auf sie zukommt.“ Rente mit 60? „Gedankenwelt aus der Zeit der Industrialisierung.“ Flexibilisierung von Tarifverträgen? „Mich ärgert, dass in Deutschland Wandel stets als Bedrohung und nicht als Chance begriffen wird.“
Straubhaar dagegen, erst seit gut zwei Monaten Präsident des Renommier-Instituts an der Binnenalster, in dem seit 1908 geforscht wird, glaubt zu wissen, was zu tun ist. Und findet sich dabei auf der Seite der Unternehmensverbände wieder. Hier redet ein Wirtschaftliberaler reinen Wassers: Eine „Lohnspreizung“ müsse her, fordert Straubhaar. Unabdingbar sei es, dass die Löhne „in einzelnen Bereichen auf ein wesentlich geringeres Niveau“ sinken. Einen Niedriglohnsektor kann er sich vorstellen, die „Schwarzarbeit damit nachträglich legalisieren“. Denn: „Passen wir die Gesetze den Realitäten an.“
Der Flächentarif ist auch so ein Ding, das ihn stört. Natürlich stammt der „aus einer vergangenen Zeit und hat heute keinen Platz mehr“. Straubhaars Zauberwort passt zum Zeitgeist: Flexibilisierung – die man dann nicht nur auf Arbeits-, sondern auch auf den Wohnungsmarkt ausweiten solle. Und das Rentenalter solle, auch das eines seiner Lieblingsworte, „individuell“ gehandhabt werden: „Ein Mann wie der amerikanische Notenbankchef Alan Greenspan, der jetzt noch mal kandidiert, wäre in Deutschland schon seit zwanzig Jahren in Rente“, beklagt Straubhaar. Greenspan ist 73.
Ohnehin sind die USA ein Vorbild, an dem sich Europa orientieren sollte. „Mich ärgert der dauernde Vorwurf, wir bekämen amerikanische Verhältnisse.“ Straubhaars Vorschläge sollen selbstverständlich vor allem dem einen Ziel diene: „die Arbeitslosigkeit signifikant zu reduzieren“.
Peter Ahrens
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