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Neuwahl im Zentralrat der Juden ist wochenlang MedienereignisAlltag der Minderheiten wird vergessen

Wie heißt der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime? Wie der Sprecher der Türkischen Gemeinde in Deutschland? Es sind wenige, denen die Namen geläufig sind, auch wenn die Türken die größte Minderheitengruppe im Land sind und obwohl die rund drei Millionen Muslime nach den Katholiken und Protestanten die drittstärkste Religionsgruppe stellen. Verwundern kann das nicht. Denn bis heute ist das Verhältnis Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten ein schwieriges und angespanntes.

Eine Ausnahme gibt es allerdings auf den ersten Blick: Die Juden haben es in Deutschland scheinbar besser als die anderen, zum Teil viel größeren Minderheiten. Die jüdische Gemeinde kann sich einer uneingeschränkten medialen, politischen und gesellschaftlichen Aufmerksamkeit gewiss sein. So fiebern die Medien bereits seit Wochen auf die Wahl des neuen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden hin, die am Sonntag stattfindet. Kaum ein Presseorgan, das die aussichtsreichsten Kandidaten – Paul Spiegel und Charlotte Knobloch – nicht ausführlich vorgestellt hätte.

Nichts dagegen einzuwenden, wenn sich die Bürger für das Gemeindeleben und die Verbandspolitik der jüdischen Glaubensgemeinschaft interessieren. Die Gründe, weshalb die jüdische Minderheit die Mehrheitsgesellschaft stärker interessiert als andere Minderheiten, liegen auf der Hand. Aber der mediale Wirbel um die Organisation einer kleinen Minderheit mit gerade mal 80.000 Mitgliedern wirft dennoch ein paar Fragen auf. Das zentrale Anliegen, das sich hinter der großen Aufmerksamkeit verbirgt, lautet wohl: Welchen Beitrag werden Knobloch oder Spiegel zur Normalisierung des deutsch-jüdischen Verhältnisses leisten? Sprich: Gelingt mit ihnen eine weitere Entlastung der Deutschen von historischer Schuld?

Die Deutschen brauchen bis heute die Juden, um der Welt ihre Demokratiefähigkeit zu beweisen. Heinz Galinski als Vorsitzender des Zentralrats der Juden war der verkörperte Beleg: Man kann als Jude trotz allem, was geschehen war, wieder in Deutschland leben. Ignatz Bubis leistete unschätzbare Dienste, indem er auch nach den Pogromen der frühen Neunzigerjahre versicherte, dieses neue Deutschland sei tatsächlich nicht das alte.

Die Entlastungsfunktionen für Deutschland interessieren, nicht jedoch die aktuellen Probleme der jüdischen Gemeinde. Die Schwierigkeiten etwa, die Zuwanderer aus Osteuropa in die hiesige Gesellschaft zu integrieren.

Und hier geht es den Juden dann nicht mehr besser. Für alle Minderheiten in Deutschland gilt: Ihre Alltagsprobleme werden nur begrenzt wahrgenommen. Dies zeigte Anfang Dezember auch die große Anfrage von Jürgen Rüttgers (CDU) im Bundestag zum Islam in Deutschland. Vom Schächten bis zur Friedhofsordnung – nahezu nichts ist geklärt. Dass dies auch nach vierzig Jahren muslimischer Einwanderung so ist, sagt viel über den deutschen Paternalismus aus. Über den Herr-im-eigenen-Haus-Standpunkt. Minderheiten, so die vorherrschende Auffassung, sollen froh sein, wenn ihnen Rechte von der Mehrheit in einer Art Gnadenakt gewährt werden.

Alle Minderheiten werden von der „großen“ Politik erst wahrgenommen, wenn befürchtet wird, sie könnten Ärger machen oder gar dem deutschen Ansehen schaden. So erhielt Hakki Keskin, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde, nach dem großen Erdbeben in der Türkei die zweifelhafte Ehre, urplötzlich von Außenminister Joschka Fischer empfangen zu werden. Der Anlass: Keskin kritisierte die deutsche Erdbebenhilfe als „unwürdig“. Und Fischer befürchtete einen ernsthaften Imageschaden mit unabsehbaren Folgen für seine Türkeipolitik.

Diese partielle Wahrnehmung der Minderheiten offenbart die Selbstbezogenheit und die Unreife der Mehrheitsgesellschaft. Ignatz Bubis wusste: Eine Normalisierung des deutsch-jüdischen Verhältnisses wird unter anderem auch erst dann möglich sein, wenn das zwischen Mehrheit und Minderheiten im Allgemeinen geklärt ist. Deshalb drängte er gegen Ende seines Lebens darauf, den christlich-jüdischen Dialog um das Gespräch mit den Muslimen zu erweitern. Denn allzu häufig agiert sich an Muslimen ein Ressentiment aus, das sich viele gegenüber Juden nur mühsam verkneifen. Eberhard Seidel

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